Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
mit allen Parametern werden zumeist aus vorbereiteten Programmen abgerufen und gegebenenfalls angepaßt.
Dazu gehört auch die korrekte Verschaltung des Rohrsystems, so daß Eingangs- und Ausgangsprodukte den richtigen Weg nehmen und die notwendigen Mengen auch an Strom, Dampf und Wärme immer zur Verfügung stehen. Diese Konfigurationen der Anlage kann man sich so vorstellen wie ein Set von Weichenstellungen auf einer Modelleisenbahnanlage. Erst wenn alle Weichen und Signale korrekt stehen, kann der Zug richtig fahren. Genauso nehmen das Öl und seine Abkömmlinge den Weg durch die verschiedenen Teile der Raffinerie. Die Aufgabe der Operators ist es primär, die richtigen Konfigurationen auszuwählen und zu modifizieren und auf Unvorhersehbares zu reagieren, etwa wenn ein chemischer Prozeß durch eine unerwartet andere Zusammensetzung der Ausgangsstoffe oder einen Anlagenfehler nicht wie gewünscht funktioniert, ein Rohr platzt, eine Pumpe gestört ist, ein Ventil klemmt oder ein Sensor fehlerhafte Werte liefert oder ausfällt.
Daß nicht noch weiter automatisiert wird, was technisch ohne weiteres ginge, ist also in erster Linie der Sicherheit geschuldet. Jede Anlage soll weiterhin einem Menschen zugeordnet sein, der im Zweifel eingreifen kann. Etliche Vorgänge, wie etwa das Entladen des Rohöls aus einem Tankschiff oder das Beladen von Tank-Lkws und -güterwagen, folgen komplexen mehrstufigen Si cherheitsprozeduren, bei denen Arbeiter mit entsprechender Aus bildung eine Vielzahl von individuellen Faktoren beachten müssen, damit es nicht zu einem Unfall kommt.
Diese sind nicht ohne weiteres zu ersetzen, solange es nicht Robotersysteme mit einem die heute möglichen Komplexitätsgrade weit übersteigenden Niveau gibt. Es geht dabei insbesondere um Prozeduren, wie die Funkenbildung zu vermeiden, die Gasreste aus den Tanks sauber abzupumpen, Leckagen oder schlecht zusammengesetzte Kopplungen an den Rohren zu erkennen – bis bin zur sensiblen Steuerung der Pumpen. Anfangs soll nur wenig Öl fließen, damit im Fehlerfall der Schaden nicht zu groß ist. Wenn alles läuft, muß der Druck möglichst konstant gehalten und gleichzeitig dafür gesorgt werden, daß die riesigen Tankschiffe jeweils gleichmäßig entladen werden, damit sie keine Schieflage bekommen. Außerdem muß das Öl in die dafür vorgesehenen richtigen Tanklager gepumpt werden, da ein Fehler bei der Mischung von Ölsorten schnell zu einem Millionenverlust führen kann.
Die Menschen, die mit Öl arbeiten, unterscheiden sich auf subtile Art von den meisten anderen, die wir auf unserer Reise durch die Maschinenwelt getroffen haben. Zu wissen, daß in Steinwurfweite ihres Arbeitsplatzes Millionen Liter hochentflammbarer Flüssigkeiten und Gase schwappen, daß jeder Fehler, jede Unaufmerksamkeit zu einer erheblichen Katastrophe führen kann, verändert das Denken und Handeln. Ein anderer Aspekt ist das Wissen und auch der Stolz, daß an ihrer Arbeit quasi die gesamte moderne Welt hängt.
Ohne die Produkte aus Erdöl und Erdgas wäre praktisch nichts denkbar von dem, was wir in diesem Buch beschreiben. Kein Mineraldünger für den Acker, kein Treibstoff für Traktoren, Mähdrescher, Lkws und Schiffe, kein Schmierfett und kein Plastik für die Motoren, Maschinen und Roboter, kein Paraffin und keine Folien für Lebensmittelverpackungen – unsere Abhängigkeit vom Öl ist derzeit faktisch total. Die Jobs in der Ölindustrie sind dementsprechend gut bezahlt und vergleichsweise attraktiv. Niemand, mit dem wir hier sprachen, konnte sich auch nur vorstellen, woanders zu arbeiten.
Die großen Konzerne bieten neben permanenter Aus- und Weiterbildung auf Wunsch oft auch an, ein paar Jahre im Ausland zu arbeiten oder auf einen anderen Beruf innerhalb der Branche umzuschulen – keine Selbstverständlichkeit im heutigen Arbeitsleben. Die schieren Geldmengen, die durch die Ströme des flüssigen Goldes bewegt werden, machen vieles möglich. Selbst die zweite Reihe der Ölindustrie, die spezialisierten Vertragsunternehmen, bieten attraktive Arbeitsbedingungen, wenn auch oft für eher anstrengende und kraftraubende Aufgaben in der Reparatur und Montage. Die bestbezahlten, aber auch härtesten Arbeitsplätze in der Industrie sind auf den Ölbohrinseln, wo oft am Rande des heute technisch Machbaren unter drastischen Umweltbedingungen geschuftet wird.
Die Rohre in der Raffinerie würden aneinandergelegt mehrere Male um den Planeten reichen – 160.000 Kilometer ist die
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