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Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)

Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)

Titel: Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kurz , Frank Rieger
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Strom versorgen. Doch alle Destillationstürme, Cracker und sonstigen Anlagen standen still. Es gab keine Dampfproduktion mehr, die Heizbrenner schalteten ab, es floß kein frisches Öl mehr in die Anlage. Der Druck aus allen Anlagen wurde über das Flare-System zu den Abfackeltürmen geleitet, über denen fast hundert Meter hohe, stark rußende Flammen loderten. Es muß ausgesehen haben wie die Apokalypse des Ölzeitalters – praktisch in Sicht- und Hörweite der Metropole Rotterdam. Die Apokalypse oder auch nur Explosionen und größere Leckagen blieben jedoch aus. Die wesentlichen Prozesse in der Anlage wieder anzufahren dauerte allerdings mehrere Tage, einige Seitenstränge der Produktion wieder in Betrieb zu nehmen dauerte sogar noch wesentlich länger, etwa weil beim Erkalten feste Erdölprodukte wie Paraffin mühsam aus den Rohren entfernt werden mußten.
    Das Bild der Arbeit in der Raffinerie hat sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs grundlegend geändert. Auf dem Höhepunkt der Beschäftigtenzahlen waren über siebentausend Arbeiter in einer großen Raffinerieanlage tätig. Die Automatisierung hat die für den Betrieb der Produktion nötigen Menschen drastisch reduziert: Waren früher acht bis zehn Operators erforderlich, um die Ventile an einer Destillation zu bedienen, überwacht heute ein einziger zwei dieser Anlagen gleichzeitig.
    Die Ventile und Pumpen werden vom Computer gesteuert, die Manometer für Füllstände, Drücke, Durchflußmengen und Temperaturen müssen nicht mehr wie früher draußen im zugigen Rohrgewirr abgelesen und interpretiert werden, sondern sind jederzeit elektronisch in den Leitstandbunkern verfügbar. Interessant ist, daß die Veränderungen auch hier in mehreren Schritten geschahen. Zuerst wurden Methoden ersonnen, um die Meßinstrumente und die Bedienung der Ventile und Pumpen in einem Raum zusammenführen zu können. Das war, lange bevor Industriecomputer als ubiquitäres Steuerelement verfügbar wurden. Gesteuert wurde durch Öffnen und Schließen von Druckluftventilen in der Steuerzentrale. Mit der Druckluft wurden dann Ventile und Pumpensteuerungen bewegt.
    Die Ölleute sprechen von »pneumatischen Signalen«, wenn sie die gezielte Druckänderung in solchen Steuerleitungen meinen. Die Steuerzentralen damals sahen so aus, wie man es noch aus heroischen Fabrikfilmen aus den fünfziger und sechziger Jahren kennt: lange Reihen von Schalttafeln mit Zeigerinstrumenten, Papiermeßwertschreibern sowie Drehrädern und Hebeln für die Druckluftventile. Gesteuert wurde auf Zuruf. Wenn etwa der Druck in einem Kessel einen bestimmten Wert überschritt, rief ein Operator dem anderen zu, welches Ventil er schließen oder öffnen sollte.
    In vielen Teilen der Raffinerie werden immer noch diese Druckluftsteuerungen verwendet, nur daß heute die elektronischen Steuerimpulse aus den Computern kleine Magnetventile an den Druckluftleitungen ansteuern, deren Druckluft dann wiederum das eigentliche große Ventil oder die Pumpe an der Raffinerieanlage betätigt. Der Grund dafür ist, daß es teuer und aufwendig ist, direkt elektrisch betriebene Ventile und Pumpensteuerungen in die existierenden komplexen Anlagen einzubauen, nicht zuletzt, weil jedes Bauteil in einer Raffinerie speziellen Normen aufgrund des Explosionsschutzes oder der Funkenfreiheit genügen muß.
    Einfach computergesteuerte Druckluftventile in die bereits vorhandenen Steuerrohre im Keller der Kontrollbunker einzubauen war sicherer, preiswerter und bot die insbesondere in der Anfangszeit der Steuercomputer noch häufiger notwendige Option, bei einem Ausfall des Systems wesentliche Steuerungen nach einem beherzten Sprint in den Keller und mit dem Griff an das Handrad der Druckluftleitung manuell betätigen zu können. Heutzutage sind dies nur noch für den äußersten Notfall vorgesehene Optionen für das Herunterfahren der Anlage, wenn alle mehrstufigen Automatiken versagt haben sollten.
    Die computerisierten Steuersysteme der Raffinerieteile sind sehr ähnlich denen, wie wir sie in der Getreidemühle bereits gesehen haben. Auf großen Bildschirmen werden Füllstände, Temperatur, Druck, Ventilstände, Pumpenleistungen, Durchflußmengen und alle sonstigen relevanten Parameter für den jeweiligen Verarbeitungsschritt visualisiert. Automatische Regelprogramme halten diese Prozeßparameter im Rahmen der vorgesehenen Werte und schlagen Alarm, sobald Abweichungen auftreten. Die Einstellungen für den jeweiligen chemischen Prozeß

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