Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
daß die Menge an Menschen, die um einen Niedriglohn-Arbeitsplatz konkurrieren, so groß geworden ist, daß man ohne weiteres Löhne zahlen kann, die deren Lebenskosten nicht mehr decken. Die hohe Arbeitslosigkeit bei Ungelernten und Niedriggebildeten – in Deutschland derzeit über zwanzig Prozent – zeigt deutlich, daß dieser Punkt bereits erreicht ist.
Ein klassisches Beispiel aus der Vergangenheit ist die Ablösung von Pferdefuhrwerken durch Lastkraftwagen. Natürlich hätte man noch weiter Waren und Menschen mit Pferdekraft transportieren können, indem man den Preis dafür auf das Niveau gesenkt hätte, das mit Motorwagen erzielbar wurde. Doch die Einnahmen hätten nicht mehr gereicht, den Pferden das Futter und dem Kutscher den Lebensunterhalt zu zahlen. Diese Arbeit weiter zu subventionieren, indem man sie aus dem Sozialsystem bezuschußt, ist nicht einmal mittelfristig tragbar.
Die zweite, weniger offensichtliche und bisher ungern diskutierte Seite der Mindestlohndebatte ist, daß ein Mindestlohn nahezu zwangsläufig dazu führt, daß die wirtschaftlichen Anreize für die nächsten Automatisierungswellen deutlich steigen. Hinter vorgehaltener Hand sagen etliche Vertreter der Automatisierungsindustrie, daß sie große Fans von Mindestlöhnen seien. Selbst wenn die Technologie, wie wir gesehen haben, heute bei etlichen Tätigkeiten noch nicht so weit ist, daß die Mindestlohn-Arbeitsplätze ersetzt werden könnten, wäre eine fixe Untergrenze für die Kosten menschlicher Arbeit für die Branche der Automatisierer sehr hilfreich. Ein festes kalkulatorisches Ziel, einen maximalen Kostenrahmen pro zu ersetzenden Arbeitsplatz zu haben wäre ein großer Anreiz für Innovation und Erfindergeist. Bisher ist es gerade in von Niedriglohnarbeiten dominierten Branchen häufig so, daß ein Angebot für eine automatisierte Anlage als Ersatz für menschliche Arbeiter nicht beauftragt wird, sondern nur als Grundlage dient, die Löhne weiter zu drücken oder – zunehmend weniger – durch Verlagerung der Produktion ins Billiglohnausland zu senken.
Doch die Verlagerung der arbeitsintensiven Produktion nach Osteuropa oder Asien ist für immer weniger Unternehmen attraktiv. Zum einen ist es vielen auch nach Jahren oft nicht gelungen, die typischen Verlagerungsprobleme in Punkten wie Qualität von Rohstoffen, Ausgangsmaterialien und Vorprodukten, Zuverlässigkeit, langen Transportwegen, aber auch in Imagefragen und bei Produktkopien in den Griff zu bekommen. Zum anderen sind die Lohnkosten in Osteuropa, aber auch in Asien immerhin so weit gestiegen oder werden in absehbarer Zeit so weit steigen, daß sich die Produktionsverlagerung im Ganzen nicht mehr rechnet.
Gründe für die Etablierung von Standorten im Ausland sind zunehmend eher die Nähe zu den dortigen Märkten und die Anpassung an die langfristig doch recht erfolgreiche protektionistische Politik in großen aufstrebenden Märkten wie etwa Brasilien. Die Kombination von drastischen Importzöllen und einem großen, attraktiven Marktvolumen führt nahezu zwangsläufig dazu, daß zum Beispiel Autohersteller vor Ort Fabriken errichten.
Die Folgen dieser Begrenzung und partiellen Umkehr des ehemaligen Globalisierungstrends der Arbeitsverlagerung in den letzten zwei Jahrzehnten sind noch nicht überall offensichtlich, die Richtung ist jedoch schon klar: Wenn Produktionsstätten neu gebaut werden, bevorzugen hiesige Konzerne heimatliche Standorte, das nahegelegene östliche Ausland oder bauen direkt in den zukünftigen Absatzmärkten. Deutschland hat glücklicherweise nie im gleichen Ausmaß wie die USA oder Großbritannien seinen industriellen Kern der Wirtschaft abgebaut und ins Ausland verlagert. Das bedeutet trotzdem nicht, daß es große Hoffnungen auf neue, dauerhafte Arbeitsplätze für Menschen mit geringer Bildung und begrenzten oder in der heutigen Struktur der Wirtschaft wenig benötigten Talenten gibt – die neuen Fabriken und Anlagen werden so weit automatisiert wie nur irgend möglich.
Die traditionelle Antwort der Politik auf diese Veränderungen ist, durch strukturelle »Reformen« das Bildungswesen verbessern zu wollen, um den Anteil der Menschen mit nicht mehr für die moderne Wirtschaft adäquaten Bildungsständen zu reduzieren. Die derzeitigen tatsächlichen Ansätze produzieren jedoch eher das Gegenteil dessen, was eigentlich notwendig wäre. Statt außergewöhnliche Talente zu fördern und durch eine breite, umfassende Bildung Persönlichkeiten
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