Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
heranzuziehen, die durch kreatives Denken, ungewöhnliche Ansätze und die Einbeziehung von Erkenntnissen von außerhalb ihres Fachgebietes den vielbeschworenen Fortschritt voranbringen, wird stumpf versucht, den nominellen durchschnittlichen Bildungsstand zu erhöhen.
Im Ergebnis steigt dadurch der Pool an Arbeitskräften, die sich zwar als Anlagenfahrer oder ausgebildeter Wartungstechniker eignen oder sich kurzfristig auf die jeweiligen mittelmäßigen Anforderungen des gerade aktuellen Projektes trainieren lassen. Doch statt solider, fachübergreifender Bildung, für die insbesondere die deutschen Diplomstudiengänge einmal weltweit anerkannt waren und aus denen viele außergewöhnliche Talente erwuchsen, gibt es nun eine »hinreichend gute« Ausbildung und eine ganze Generation an Bachelors, mit der man die durchschnittlichen Mittelmaßanforderungen der ohnehin seit Jahrzehnten über den Fachkräftemangel wehklagenden Wirtschaft irgendwie schon erfüllen kann.
Mehr und mehr geistige Energie fließt in kaum oder gar nicht produktive und dem Fortschritt der Menschheit wenig dienliche Bereiche wie etwa die Ausbildung von Marketingspezialisten, Onlinewerbern oder Abmahnanwälten. Parallel dazu verkümmern ausgerechnet die Bereiche der Geistes- und Sozialwissenschaften, deren Erkenntnisse und Anregungen in den anstehenden Zeiten großen gesellschaftlichen Umbruchs ausgesprochen nötig wären. Denn die ethischen und sozialen Herausforderungen der kommenden Umbrüche erfordern mehr denn je, daß Softwareentwickler und Ingenieure die Implikationen ihres Handelns und ihrer Designentscheidungen verstehen und einordnen können. Die Möglichkeit, diese unabhängig zu beobachten und zu erforschen, wäre dafür die Mindestvoraussetzung.
Nicht einmal in den »harten« Natur-, Technik- und Ingenieurwissenschaften ist die Welt noch in Ordnung. Der Zeitanteil, den ein Wissenschaftler mit tatsächlicher Forschung verbringen kann, sinkt stetig. Neben Lehrverpflichtungen ist der Grund vor allem der permanente Druck, sich um Förderanträge mit ihren ausufernden Berichts- und Bürokratieverpflichtungen und um die Beschaffung von Drittmitteln aus der Industrie zu kümmern. Das Zeitbudget für tatsächliche Forschung, für freies Nachdenken und die Entwicklung neuer Methoden und Ansätze schrumpft, seit der vor wenigen Jahren noch vorhandene Mittelbau und der Nachwuchs an Universitäten und Hochschulen samt und sonders im Rahmen solcher Projekte tätig ist.
Auf der Reise durch Industrie, Forschungseinrichtungen und Universitäten waren die Folgen bereits deutlich sichtbar: Häufig war der Stand der Technik und Forschung in Fragen der Automatisierung und Roboterisierung in den industriellen Entwicklungszentren denen der universitären Forschungsvorhaben im gleichen Bereich um Jahre voraus. Drittmittelprojekte sind häufig nur ausgelagerte Industrie-Entwicklungsvorhaben, die sich eng an den Bedürfnissen der Auftraggeber orientieren, statt den generellen Stand des Wissens voranzutreiben. Grundlagenforschung verkümmert hingegen, die eigentlich die Fundamente für zukünftige technische Innovationen in einigen Jahren legen soll.
Die besten Wissenschaftstalente bleiben kaum mehr an deutschen Universitäten, da viele verständlicherweise keine Lust haben, sich dem permanenten Rattenrennen um Fördermittel und unterbezahlte, aber dennoch nur befristete Stellen auszusetzen. Eine Folge davon ist, daß die besten Köpfe sich statt dessen in der Industrie verdingen, daß viel Wissen und Know-how privatisiert wird, das früher im akademischen Kontext publiziert und damit allen zugänglich wurde. Das Wettrennen um die besten Talente haben die Universitäten und Hochschulen de facto verloren, nur noch wenige öffentliche Forschungsstätten können mit den privat finanzierten und betriebenen Labors von Google & Co. mithalten.
Die Frage, warum in den letzten Jahrzehnten nur noch so wenige wirklich historische Erfindungen und Entdeckungen in der Dimension gemacht wurden, die das zwanzigste Jahrhundert so stark prägten, ist nicht schwer zu beantworten: Die dafür nötigen Talente haben eine zu schmalbandige Ausbildung – manche Böswillige nennen sie gar »Fachidioten« – und genug damit zu tun, inkrementelle Verbesserungen von Entdeckungen und Erfindungen zu entwickeln, die in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gemacht wurden. Und nicht wenige sind in gänzlich unproduktiven, aber intellektuell nicht völlig stumpfsinnigen
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