Arcanum – Das Geheimnis
lassen?“
Er deutete durch die Lupe auf die Finger und Handwurzelknochen aus seiner Tüte, die sauber durchtrennt worden waren durch einen Schnitt oder Schwerthieb.
„Es ist eine rechte Hand. Mitte des elften Jahrhunderts, als unsere goldene Scheibe im Erdreich verschwand, war es ein üblicher Brauch, einem Verräter die rechte Hand, die Schwurhand, abzutrennen.“
Herbert rieb sich noch immer nachdenklich die Nase.
„Derjenige, der das getan hat, hatte es nicht auf die Schätze eines Reisenden abgesehen. Wieso ist die goldene Scheibe sonst liegen geblieben? Der enorme Wert hätte jeden zum Dieb werden lassen. Vergiss nicht, es war nicht nur das Gold, sondern vielleicht auch eine anerkannte Kreuzreliquie.“
Herbert beschloss, nach Tübingen zu fahren. Er wollte die Knochen der Radiokarbonanalyse unterziehen, da es zunächst von Bedeutung war, ob sie zeitlich überhaupt zum Rest des Fundes passten. Knochen verrieten einem Pathologen darüber hinaus aber noch andere Dinge. So zum Beispiel die Ernährungssituation des Besitzers und damit seinen gesellschaftlichen Status. Die Münze würde einem Spezialisten Aufschluss über Prägedatum und Herkunft geben, und so entschieden sie, keine weiteren Spekulationen anzustellen. Das Papier, auf dem Herbert die Buchstaben abgepaust hatte, war während des Regens vollkommen durchweicht. Nun klebten die zusammengefalteten Blätter getrocknet aufeinander, und er schlug vor, sie bei sich in der Archäologie einzuweichen, um sie voneinander zu lösen. Die wasserfeste Farbe sollte die Prozedur eigentlich überstehen.
„Morgen komme ich nach Tübingen. Passt Dir das? Wir könnten uns in unserer Stammkneipe Zum Hades treffen, um die Analysen zu besprechen. Ich nehme dann meine Familie und die Kleider mit zurück nach Calw. Meine Lieben sind mit der Ammertalbahn gefahren, dem letzten großen Abenteuer zwischen hier und Tübingen“.
Herbert nickte und der Abschied verlief ebenso knapp wie die Begrüßung am Tag zuvor.
„Soll ich Dich noch bis zu Deinem Wagen begleiten?“ Christopher war besorgt, denn Herbert hatte erheblich mehr abbekommen als er. Herbert winkte ab und Christopher sah ihm nach, bis er humpelnd im Treppenhaus verschwunden war. Er schloss die Türe, und da ihn zu Hause niemand erwartete, setzte er sich noch einmal an den PC in seinem Praxisbüro, wo er einen schnelleren Internetzugang hatte. Einer spontanen Eingebung folgend, gab er Maya 2012 als Suchbegriff bei Google ein.
Das Ende des Mayakalenders wurde von vielen Panikmachern und Untergangspropheten als Tag der Apokalypse betrachtet. Diese Leute müssten sich eigentlich kurz vor Ablauf ihrer Galgenfrist rege im Internet austauschen. An erster Stelle war natürlich ein Artikel über die Kalenderzählungen der mittelamerikanischen Völker. Er war populärwissenschaftlich aufgemacht und ließ keinen Zweifel daran, dass sich die Maya an diesem Tag kopflos und zähneklappernd auf den Weltuntergang eingestimmt hätten. Dass sie die Vorstellung hatten, lediglich in ein neues Zeitalter einzutreten, wurde schlicht ignoriert. Katastrophen und Untergang verkauften sich einfach besser. Er erinnerte sich an den Hollywoodfilm von Roland Emmerich, der im Jahr 2009 Zuschauer in die Kinos gelockt hatte. Das Filmplakat war ihm im Gedächtnis geblieben, auf dem ein tibetischer Mönch vom Dach der Welt aus sah, wie eine gigantische Sintflut den Himalaja überschwemmte.
Was war das? Auf seinem Flachbildschirm blendete sich trotz aktiver Firewall ein Popup-Fenster ein:
„Interessieren Sie sich für Rosen? Wählen Sie…“
Ohne weiter nachzudenken, wählte er aufgeregt die eingeblendete Telefonnummer, die mit der Vorwahl von Calw begann. Eine freundliche Frauenstimme meldete sich.
„Sie sind mit dem Lectorium Rosicrucianum auf dem Wimberg verbunden, wie kann ich Ihnen helfen?“
Christopher war überrascht. Er dachte nach, dann antwortete er, „ich interessiere mich für Ihre Arbeit. Ist es möglich, mit einem Verantwortlichen einen Termin zu vereinbaren?“
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung veranlasste ihn, noch eine kleine Notlüge hinzuzufügen, „ich denke über eine Mitgliedschaft bei Ihnen nach“.
Die junge Dame erwiderte erleichtert, „ich befürchtete schon, Sie seien ein Reporter. Wir hatten einen im Haus, der dann einen furchtbaren Artikel über uns veröffentlichte, in dem wir als Gefahr für die Gesellschaft dargestellt wurden. Ich würde sie gerne mit Herrn Gryphius zusammenbringen. Er ist
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