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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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geschieden«, rief sie. »Ich möchte Kontakt zu meinem ersten Verlobten aufnehmen. Hier ist seine Adresse, arrangieren Sie das. Wenn Sie es schaffen, ihn nach Amerika zu bringen, werde ich mich gebührend bei Ihnen revanchieren. Ich habe da ein Geschenk, das will ich ihm schon seit einer Ewigkeit geben.«
    Ich werde mein Bestes tun. Ich werde ihn aufsuchen und – so Gott will – Amerika erobern. Noch einen Tee, bitte!
    A ch, wie schön, da kommt unser grosser Mann. Das, verehrte Dame, ist Hagg Safwân al-Mursi, der Vorsitzende des Gemeinderats. Hol schnell noch Kebab, Junge, Beeilung!
    – Nicht nötig, ich habe gerade gegessen. Bring mir einen Tee, Abdalmunim. Und, lieber Mabrûk, wird uns die Dame in Bezug auf die Verschollenen helfen?
    – Wer weiss, Gott verbirgt Seine Geheimnisse in den schönsten Frauen.
    – Schauen Sie, Verehrteste, wir unterstehen dem »Recht der Obrigkeit«. Sie hat die Agrarreform rückgängig gemacht und Grund und Boden den Reichen zurückgegeben. Damit ist verloren, was wir uns hart erkämpft haben. Diese Politik bringt die Armen um,inzwischen ist das ganze Dorf bedroht. Um zu überleben, muss man sich in Todesgefahr begeben, Tod durch Ertrinken im grossen, weiten Meer, unterwegs dahin, wo es Arbeit gibt und man Geschäfte machen kann. Also Tod überall. Die Menschen sind am Ende, sie wissen nicht mehr weiter. »Die Verzweiflung treibt uns vom Regen in die Traufe«, hört man sie ständig sagen.
    Vierundzwanzig junge Männer, alles Leute mit Ausbildung, sind vor neun Monaten aufgebrochen. Sie wollten von Suwâra in Libyen übers Meer nach Italien. Sie sind dort nachts in See gestochen, seither fehlt von ihnen jede Spur. Wir wissen nicht, ob sie noch leben oder tot sind. Manche behaupten, sie sässen in Libyen im Gefängnis al-Hisân al-Aswad, weil man sie beschuldigt, ein Militärboot gestohlen zu haben. Andere behaupten, ihr Boot sei bei der Überfahrt gekentert, sie seien aber gerettet worden und sässen nun in Malta im Gefängnis. Wieder andere dagegen glauben, dass sie tot sind. Wir haben alles versucht, wir sind zur Polizei gegangen, vors Parlament gezogen, haben uns ans Aussenministerium gewandt und an den Staatspräsidenten. Am Ende haben wir im Namen der Mütter Telegramme an die First Lady, Madame Suzanne Mubârak, geschickt. Vergeblich.
    Einer der Verschollenen ist mein jüngerer Bruder. »Achmad«, habe ich noch zu ihm gesagt, »dort gibt es auch keinen anderen Gott als hier.« – »Doch«, sagte er, »einen besseren.«
    Wir müssen herausfinden, was mit unseren Kindern geschehen ist. Dieses Land bietet ihnen weder Arbeit noch sonst etwas. Also zogen sie aus, um ihr Glück woanders zu suchen. Es sind junge Männer, sie wollen sich eine Existenz aufbauen, wollen irgendwann heiraten und ihr eigenes Zuhause haben – also im Grunde ein Leben führen, wie es Gott gefällt. Das Schicksal aber hat sie irgendwelchen Halunken in die Arme getrieben. Wir sind müde,unsere Familien sind müde, die Mütter sind gebrochen. Der Zustand meiner Mutter wird immer schlimmer, Kummer und Krankheit zerfressen sie regelrecht. Ihr Sohn ist verschwunden, sie weiss nicht, ob er lebt oder tot ist. Es muss doch so etwas wie Gnade für die Mütter geben. Schrecklich, die armen Frauen!
    Natürlich könnte man fragen, warum sie die 15 000 Pfund nicht in ein Projekt gesteckt haben, statt sie so sinnlos zu verpulvern. Aber die Frage ändert nichts an den Tatsachen. Die Männer sind jung und unerfahren, das Land ist wie gelähmt, und jeder, der den Versuch unternimmt, etwas auf die Beine zu stellen, kriegt von den Mächtigen eins übergebraten, dass er sein gesamtes Geld verliert.
    Ein junger Mensch hat also keine andere Wahl, als das Land zu verlassen und draussen jeden Job anzunehmen. Bleibt er hier, dann ist er verloren. Arbeit gibt es nicht, und eigene Projekte werden zunichtegemacht. Folglich wird er auch kein Auskommen haben. Aus diesem Grund setzt er sein Leben aufs Spiel. Ein Parlamentsabgeordneter, der uns hier besuchte, hat einen entscheidenden Satz gesagt: »Unsere Kinder besuchen die Schulen, um Intellektuelle zu werden, die arbeitslos herumsitzen.« Stellen Sie sich vor, verehrte Dame, es gibt hier im Ort Leute, die vor zwanzig Jahren ihr juristisches Staatsexamen abgelegt haben und nun im Café kellnern müssen. Und das Ganze zu einem Monatslohn, der gerade einmal zehn Tage reicht. Einer von ihnen hat sich vor zwei Monaten das Leben genommen.
    Wir befinden uns in einem Krieg.

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