Arche Noah | Roman aus Ägypten
von mir? Warum haben sie gerade mich auf dem Kieker? Ich schaute an mir hinunter, vom Pullover bis zu den Latschen. Und da begriff ich: Diese verflixten Schlappen waren an allem schuld. Also zog ich sie aus und die Turnschuhe wieder an. Sofort fühlte ich mich wie ein seriöser, ehrbarer Mann. Ich ging zum Schalter, um eine Fahrkarte nach Barcelona zu kaufen. Sie kostete 7000 Peseten, aber ich hatte nur noch 3000. »Akzeptieren Sie auch Dollar?«, fragte ich die Frau.
»Nein.«
»Dann möchte ich eine Fahrkarte für 3000 Peseten. Wie weit komme ich damit?«
Ich nahm das Ticket und stieg in den Bus. Bloss weg aus dieser schrecklichen Stadt, dachte ich und schwor mir, nur noch Turnschuhe zu tragen, damit mir keiner mehr blöd käme.
Der Bus hatte einen grossen Vorteil: Alle vier Stunden stieg ein neuer Fahrer ein und übernahm das Steuer. Ich beschloss, sitzen zu bleiben, bis man mich hinauswarf. Als es hell wurde, holte ich die Karten heraus und fragte den Mann neben mir, wie lange es noch nach Barcelona dauern würde. »Höchstens eine halbe Stunde«, sagte er. Kaum war der Bus angekommen, flitzte ich raus. Ichhatte Angst, dass mich jemand nach der Fahrkarte fragte, das wäre peinlich geworden. Jedenfalls machte ich mich gleich auf zum Fernbahnhof.
Der Mann am Schalter verstand mich nicht. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass ich nach Bordeaux will. Vergebens. Da kam mir der Name Cerbère in den Sinn, den mir Mabrûk eingeschärft hatte. So heisst die erste französische Stadt hinter der Grenze. Das verstand der Mann dann auch auf Anhieb und verkaufte mir ein Ticket nach Cerbère. Während ich am Bahnhof sass und wartete, machte ich Bekanntschaft mit einem Marokkaner. Wir kamen ins Gespräch, und ich erzählte ihm, dass ich ohne Pass nach Frankreich wollte. »Du bist ja verrückt!«, sagte er. Zwei Tunesier – Drogenabhängige, wie mir schien – hörten uns und erklärten sich bereit, mir zu helfen. Sie stiegen mit in den Zug. Als kurz darauf aber der Schaffner in den Waggon kam, waren sie plötzlich weg. Das waren bestimmt Diebe, sagte ich mir.
In Cerbère musste man auf dem Bahnsteig in einem Häuschen seinen Pass vorzeigen. Was tun? Auch das hatte mir unser lieber Mabrûk genau gesagt: »Wenn der Zug angehalten hat und die Türen geöffnet werden, sind alle Leute mit ihrem Gepäck beschäftigt. Dann steigt ihr auf der gegenüberliegenden Seite aus. Zuerst wird die Tür klemmen, irgendwann wird sie sich aber doch öffnen lassen. So kommt ihr auf den anderen Bahnsteig und habt die Kontrollstelle umgangen.«
Nachdem ich alle Anweisungen befolgt hatte, stand ich ratlos auf dem Bahnsteig und überlegte, wie es nun weiterginge. Da tauchte plötzlich der Marokkaner auf, der mir gesagt hatte, dass ich ohne Pass unmöglich nach Frankreich käme. Weil ich Angst hatte, den Bahnsteig zu verlassen, bat ich ihn, eine Fahrkarte für mich zu kaufen. Ich gab ihm Geld, und er besorgte tatsächlich dasTicket. »Nun bist du aus dem Schneider, mach dir keine Sorgen«, sagte er. Wir sassen noch eine Weile zusammen, dann trennten sich unsere Wege. Er fuhr nach Holland, und ich nahm den Zug um halb neun abends. Um acht Uhr früh war ich in Paris. Ich nahm ein Taxi zu der Adresse, die ich dabeihatte. Dort wohnten Leute aus unserem Dorf.
Sieben Jahre blieb ich in Paris. Ich arbeitete als Anstreicher. Das Handwerk war schnell gelernt, ausserdem haben sie drüben bestes Werkzeug und alles. Das Leben ist einfach, die Leute sind versorgt, und sie sind nett. Alles läuft wie geschmiert. Ich habe gutes Geld verdient und meine Brüder nachgeholt.
Mein kleiner Bruder lebt heute noch dort. Die anderen drei waren vor ihm gekommen, sind inzwischen aber wieder in Ägypten. Um eine Aufenthaltsgenehmigung habe ich mich nicht bemüht. Ich wollte keine Verbindung mit einer Französin eingehen, auch wenn ich dadurch eine Zukunft drüben hätte aufbauen können. Aber die Ehe zwischen einem Orientalen und einer Europäerin, das ist eine schwierige Sache. Mein Onkel, der in Deutschland mit Mabrûk zusammengearbeitet hat, ist mit einer Deutschen verheiratet und hat drei Kinder. Obwohl sie zum Islam übergetreten ist, hat er die Schnauze voll von ihr, er hält es mit ihr nicht mehr aus. Also entweder nimmt er sich das Leben, oder er reicht die Scheidung ein und kommt zurück. Mein Bruder hat eine Französin geheiratet, eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und inzwischen ein Kind. Und was ist nun? Sie hat ihn rausgeschmissen und das Kind bei sich
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