Arche Noah | Roman aus Ägypten
sollst deinen Abschluss in einem vernünftigen Land machen. Und dann geht’s dort gleich weiter. So hast du einen leichteren Übergang von der Schule an die Uni. In all cases brauchst du dich ab jetzt nicht mehr hier herumzuschlagen, dieses Land liegt im Sterben. Du musst raus hier, je früher, desto besser. Gut, dass es so gekommen ist.«
H in- und hergerissen, zog sich Farîd in sein Zimmer zurück. Allerlei Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Wie sollte er seine Welt von einem Tag auf den anderen verlassen? Käme er ohne Schule, Freunde, den Klub, die Eltern und die Schwester aus? Fühlte er sich alt genug, um auf eigenen Füssen zu stehen? Wie sollte er Papas Anweisung befolgen und seinen Freunden verschweigen, in welchem Land er lebte?
Farîd wusste nicht, ob er Angst hatte, traurig war oder Freude empfand. Ob er für oder gegen den Plan war. Im Bett schluchzte er wie ein kleines Kind, ohne zu wissen, warum. Wahrscheinlich hatte er Angst. In seiner Verzweiflungbeschloss er, sich am nächsten Tag Unterstützung von seinem Onkel zu holen. Vielleicht würde es Asîs gelingen, die Eltern von ihrem Vorhaben abzubringen.
Suha hatte grundsätzlich nichts dagegen, dass Farîd fortging, schliesslich schickten fast alle im Freundeskreis ihre Söhne für die Oberstufe ausser Landes. Aitin hatte ihren Sohn sogar schon in der achten Klasse auf ein Internat in der Schweiz geschickt. Und der Sohn ihrer besten Freundin Schahd besuchte ein Gymnasium in Kanada. Im Anschluss an das nächste Rotarier-Treffen erzählte Suha ihren Freunden, was Farîd widerfahren war, um deren Meinungen einzuholen.
»Du solltest Gott danken, dass es so gekommen ist, Suha. Auf diese Weise rettet ihr euren Sohn. Ihr bringt Licht in sein Leben.«
»Ich mache mir Sorgen. Er ist noch sehr jung.«
»Die Zeiten haben sich geändert. Überleg nur, wie du die Welt mit fünfzehn gesehen hast und wie Angie sie im gleichen Alter gesehen hat. Das ist gar kein Vergleich. Eine völlig andere Generation wächst jetzt heran. Die Jugend von heute versteht die Welt viel besser als wir in dem Alter.«
»Es stimmt, der Fortschritt ist enorm. Die neuen Medien haben das Denken der Jugendlichen verändert. Im Grunde gibt es gar keine Kindheit mehr, durch Internet und Satellitenfernsehen sind sie schon alt, wenn sie noch die Flasche bekommen.«
»Man kann die jüngere Geschichte Ägyptens am Beispiel der Bildung veranschaulichen. Im zwanzigsten Jahrhundert haben wir unsere Kinder nach dem Universitätsabschluss zu weiterführenden Studien ins Ausland geschickt. Mitdem Niedergang der Universitäten ab 1990 fingen wir an, unsere Kinder gleich nach der Schule zum Studium wegzuschicken, vor allem nach Kanada. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts kam es in Mode, die Kinder schon nach der Mittelstufe auf Internate zu schicken, vorzugsweise in der Schweiz. Offenbar geht es immer so weiter, und in zehn Jahren geben wir unsere Kinder unmittelbar nach der Geburt weg, um alle Sorgen los zu sein.«
»Du hast völlig recht, Imâd, du solltest ein Buch darüber schreiben: Die Geschichte der Ausbildung unserer Kinder im In- und Ausland. Ein ungeheuer interessantes Thema.«
»Meine Tochter macht jetzt das Internationale Bakkalaureat. Das kostet mich nur den Flug. Sie kann an einem beliebigen Ort der Welt die Schule besuchen. Zurzeit ist sie in Hongkong.«
»Bravo! Toll gemacht!«
»Meine Frau ist überglücklich. Sie findet, dass wir unsere Tochter vor der Bildung hierzulande gerettet haben.«
»Und du, Suha, rettest gerade deinen Farîd.«
» W ie sollte ich dich retten können, Farîd? Mir fällt dazu nur ein, was Machmûd al-Malîgi in Alexandria, warum? 16 gesagt hat. Der Film spielt im Zweiten Weltkrieg, Ägypten befand sich im Wandel. Er könne den Fall unmöglich gewinnen, sagte al-Malîgi zu Achmad Sâki. Er zählte alle ökonomischen und sozialen Katastrophen im Land eine nach der anderen auf und fragte in seiner wunderbaren Art jeweils: ›Wie sollte ich den Fall da gewinnen können?‹, was nichts anderes hiess als: Wie sollte er die Heimatretten können? Ich, dein Onkel Asîs, bin niemand anders als Machmûd al-Malîgi, der gescheiterte Mann, der sich von der Gesellschaft und jeglicher Auseinandersetzung mit ihr zurückgezogen hat, weil er mit ihr nicht zurechtkommt. Wie sollte ich deinen Fall da gewinnen können, Farîd?
Es war klar, dass Akram dein Schulzeugnis fälscht. Es war auch klar, dass er sich nicht mit einem Vater anlegt, der mächtiger ist als er, denn
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