Arche Noah | Roman aus Ägypten
erreicht hatte, auf 260 Pfund aufgestockt.
Einen Monat nach seiner Anstellung heiratete er Aischa. Gott schenkte ihnen Hassan, Hussain und zu guter Letzt Sainab. Aischa war eine wunderbare Ehefrau. Darüber hinaus erwies sie sich als begnadete Köchin, Jassîn nahm bereits im ersten Monat der Ehe um fünfzehn Kilo zu und brachte somit 104 Kilo auf die Waage. Er bekomme, so witzelten sie, monatlich sein Körpergewicht in Pfund ausbezahlt. Aischa versprach, sie werde ihn binnen zwei Monaten auf 300 Kilo bringen, wenn sein Gehalt entsprechend angeglichen werde. Doch nachdem die Kinder zur Welt gekommen waren, erreichte er wieder sein Normalgewicht.
Jassîn hatte vier Brüder. Der erste war in den Irak gegangen, der Kontakt zu ihm brach mit der Eroberung Bagdads durch das amerikanische Militär am 20. März 2003 ab. Was aus ihm wurde, weiss Gott allein. Der zweite Bruder arbeitete als Buchhalter in den Emiraten. Der dritte, Abdallah, war Jassîns engster Vertrauter. Er war weder fortgegangen,noch hatte er je geheiratet, denn er war an Kinderlähmung erkrankt. Der jüngste Bruder, Muhibb, war im Jahr 2000 an Nierenversagen gestorben. Er hinterliess eine Tochter. Seine Witwe, Jasmin, weigerte sich jahrelang, wieder zu heiraten.
Die fünf Brüder hatten seit 1992 zusammen eine Geflügelfarm betrieben. Geschäftsführer war Abdallah, der Älteste. Doch Muhibb, sein Assistent, war die eigentliche Triebfeder des Unternehmens. In den ersten Jahren erzielten sie gute Gewinne. Ab 2001 aber erlitten sie zunehmend Verluste, als neue Konkurrenten aggressiv auf den Markt drängten. Hinzu kam Muhibbs Tod, denn alle Erfolge waren seinem kreativen Geschäftssinn geschuldet gewesen. So konnten die vier verbliebenen Brüder dem Dahinsiechen der Farm letztlich nur noch durch die Schliessung im Dezember 2004 ein Ende setzen.
Für ihren Vater hatte das verheerende Folgen, denn nun lastete die ganze Verantwortung für die Familie des verschollenen Sohnes, die Familie des verstorbenen Sohnes Muhibb und für den behinderten Abdallah auf seinen Schultern. Die elf Feddan aber, die ihm noch blieben, nachdem er jede Menge Grund und Boden verkauft hatte, um die ärztliche Versorgung des nierenkranken Sohnes zu bezahlen, warfen bei weitem nicht genug ab.
Paradoxerweise zählte Jassîn noch zu den privilegierten Leuten im Ort, er entsprang einem Geschlecht, das seit langer Zeit den Bürgermeister stellte. Aktuell bekleidete sein Onkel dieses Amt. Doch Jassîns Grossvater war ein überaus fruchtbarer Mann gewesen, er hatte zehn Kinder und Scharen von Enkeln hinterlassen, die sich das Land teilen mussten. Aufgrunddessen und weil sich Landwirtschaft immerweniger rentierte, waren alle Familienzweige im Laufe der Zeit verarmt.
W ir haben immer Baumwolle angebaut, aber seit mindestens fünfzehn Jahren deckt der Ertrag kaum mehr die Ausgaben. 1997 beispielsweise hat die Baumwolle nicht einmal die Hälfte der Unkosten eingebracht, jawohl. Als die Regierung den Dieselpreis erhöhte, setzten wir uns zur Wehr und erreichten einen Streik. Alle Lastwagen standen still. Daraufhin wurden die Fahrer verhaftet und so übel zugerichtet, dass sie, wieder auf freiem Fuss, sofort an der nächsten Zapfsäule volltankten. Sie hätten den Diesel notfalls auch getrunken! Ein weiteres Problem ist, dass die echte ägyptische Baumwollsaat, also die einheimische Sorte, hier nicht mehr zu bekommen ist. Sie wird nun in Israel und Südafrika angebaut. Die Saat, die die Regierung heute vertreibt, ist völlig anders. Einmal haben sie uns eine langfaserige Sorte vorgesetzt. Nachdem sie aufgegangen war, hiess es, dass sie auf dem Weltmarkt nicht gefragt sei, und sie weigerten sich, den Bauern die Ernte abzukaufen. Ja, aber wieso mussten wir das ausbaden? Soll die Regierung doch die Verantwortung für ihren Fehler tragen, schliesslich hatte sie die Saat angeschafft!
In den Fünfzigern und Sechzigern bekam man für einen Kantar 27 Baumwolle vierzig Pfund. Ein Feddan kostete hundert Pfund. Das heisst, dass man von dem Ertrag, den ein Feddan abwarf, zwei Feddan kaufen konnte. Mein Grossvater, Gott hab ihn selig, wartete jeweils die Baumwollernte ab, bevor er seine Söhne verheiratete. Heute dagegen warten die Leute die Ernte ab, bevor sie sich scheiden lassen.
J assîn hatte in den vergangenen Jahren oft mit dem Gedanken gespielt, das Land zu verlassen. Er hatte sich um ein Visum für Italien bemüht, einige Jahre später um ein Visum für Frankreich, dann für Griechenland.
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