Arche Noah | Roman aus Ägypten
klingelte. »Nabîl Scharubîm, nicht zu fassen!«, schrie ich ins Telefon, das Mädel muss mich für verrückt gehalten haben. »Ich habe hier eine geile Schnitte, die dir gefallen würde«, erzählte ich ihm. Aber er war überhaupt nicht zum Scherzen aufgelegt, er blieb so ernst, als stünde ein Polizist neben ihm. Und da erst begriff ich, dass die Lage kritisch war.
Dass Sylvia sich in einen Muslim verguckt hatte, fand ich nicht weiter schlimm. Mich erschütterte vielmehr, dass sie überhaupt schon verknallt war. Als ich aus Ägypten wegging, war sie gerade einmal zehn Jahre alt und sah aus wie sieben, ein echtes Babygesicht. Ich erinnere mich noch genau an den Tag ihrer Geburt, es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen. Am 1. Februar war das. Ich muss ein Geschenk mitbringen, hatte ich gedacht und bei grimmiger Kälte die Geschäfte in Samâlik abgeklappert. Mann, habe ich geschlottert! Am Ende kaufte ich einen richtig edlen Wintermantel für die Kleine. Alle machten sich lustig über mich, denn er war viel zu gross. »Da muss sie erst noch reinwachsen«, hatte Nabîl kommentiert. »Das dauert wohl noch ein paar Jährchen, zur Hochzeit wird er ihr dann passen.« Ich glaube es nicht, die paar Jährchen sollen schon verflogen sein? So verdammt schnell? Das kleine Würmchen ist verliebt? Du meine Güte, das heisst ja, dass auch ich nicht mehr der Jüngste bin.
T alaat trat vor den Spiegel und besah sich kritisch. Die Fältchen unter den Augen, die weissen Haare, die nun endgültigdie Herrschaft übernommen hatten – nicht zu fassen, wie der körperliche Verfall voranschritt! Talaat hatte nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, in die Jahre zu kommen. Trotzdem war das Alter so unverfroren, bei ihm anzuklopfen, und das, obwohl er eisern Sport trieb. Täglich zwei Stunden Tennis und zwei Stunden Training im Fitnessstudio mit anschliessendem Saunagang. Aber nein, das Alter hatte nicht nur an seine Tür geklopft, viel schlimmer! Heimtückisch war es bei ihm eingefallen, hatte sich breitgemacht und es sich bequem eingerichtet. Talaat hatte zwar noch keine fünfzig Jahre auf dem Buckel, trotzdem verschwieg er die konkrete Zahl beharrlich. »Ich bin immer noch in Bestform!«, brüllte er sein Spiegelbild an und erblickte die Chinesin. Sie lag auf dem Sofa, das ein Drittel des Wohnzimmers einnahm, nippte an einem Glas Whisky und verfolgte gebannt einen auf stumm geschalteten Porno auf dem 60-Zoll-LCD-Bildschirm, der das zweite Drittel des Raums einnahm. Im verbleibenden Drittel stand ein grosser rechteckiger Esstisch. Talaat hatte jegliches Interesse an der Chinesin verloren. »Verfluchtes Leben in der Fremde!«, schimpfte er. Er bezahlte ihr zwanzig Dinar und bat sie zu gehen. Sie stand auf, zog sich an, drückte ihm einen Kuss auf die Halbglatze und verschwand. Er schaltete den DVD-Player aus und seinen iPod an. Halbnackt und sichtlich betrunken, lauschte er Muhammad Abdalwahhâbs 32 Gesang:
Heimat, o liebe, grosse Heimat,
Tag um Tag herrlicher,
erlebst du Triumph um Triumph .
O bwohl Nabîl ein enger Freund war, hatte ihm Talaat Dhihni nicht verraten, dass er vor wenigen Wochen von den USA nach Kuwait gezogen war. Er wollte Familie und Freunde erst in Kenntnis setzen, wenn er sicher war, dass es die richtige Entscheidung war und er dortbleiben könnte. Kuwait hatte ihn nie gereizt, nicht für einen Urlaub, geschweige denn zum Leben. Aber sein irakischer Freund Schaukat Thâir hatte so lange auf ihn eingeredet, bis er schliesslich den Atlantik überquerte.
Schaukat hatte eine Weile in Ägypten gelebt und dort in der Faisal Islamic Bank gearbeitet, in der auch Talaat tätig gewesen war. Täglich hatten sie im selben Büro neun Stunden einander gegenübergesessen, sich angefreundet und abends Frauen und Haschisch geteilt. Irgendwann war Schaukat in den Irak zurückgekehrt, kurz darauf aber vor Saddams Wahnsinn geflohen. Er hatte politisches Asyl in Holland bekommen, dort rund fünfzehn Jahre im Bankwesen gearbeitet und mit erheblichen Anstrengungen schliesslich die niederländische Staatsangehörigkeit ergattert. Dank seiner Arabischkenntnisse war ihm eines Tages grosses Glück zuteilgeworden: Man bot ihm die Leitung einer Bank in Kuwait an.
Er und Talaat hatten in all den Jahren immer Kontakt gehalten. Schaukat wusste um Talaats Situation in den USA und sah daher in ihm den perfekten Mann für sein Vorhaben. Er plante, zusammen mit einem Kuwaiter eine Firma zu gründen. Da er aber als Direktor der
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