Arche Noah | Roman aus Ägypten
Bank, die diese Firma finanzieren sollte, offiziell nicht als Teilhaber in Erscheinung treten durfte, sollte Talaat diese Rolle pro forma übernehmen. Über einen Monat lang bestürmte erseinen Freund in Amerika mit Anrufen, bis dieser am Ende widerstrebend einwilligte und seinen Namen für die Papiere hergab.
M it offenen Armen empfing ich ihn am Flughafen. Er sah trist aus, genauso wie bei unserer letzten Begegnung in den USA ein Jahr zuvor. Zwei wulstige Sorgenfalten verunstalteten seine Stirn. Er litt unter Einsamkeit und Depressionen. Ich kenne sonst niemanden, der sein Land so abgöttisch liebt. Wir alle sind mit Freude und Erleichterung in die Welt gezogen, nicht aber Talaat. Seit er Ägypten verlassen hat, ist sein ganzes Tun und Handeln auf die Rückkehr ausgerichtet. Den berühmten Spruch »Wer einmal vom Nilwasser gekostet hat, kommt davon nicht mehr los« habe ich früher für reinen Chauvinismus gehalten. Doch dann sah ich es mit eigenen Augen: Talaats Durst ist durch kein anderes Wasser zu stillen. Deshalb hat der Ärmste nun immerzu Durst. Also surft er stundenlang im Internet, damit ihm nicht die geringste Neuigkeit aus Kairo entgeht. Als ich ihn in der Faisal Islamic Bank kennenlernte, hätte ich nie gedacht, dass er so sentimental ist. Gestern war er bei mir zum Essen eingeladen. Im Laufe des Abends bekam er einen Anruf von einem Freund aus Kairo, der ihm erzählte, dass ein Autounfall am Tag zuvor die gesamte Abbâs-al-Akkâd-Strasse für mehrere Stunden lahmgelegt hatte. Danach war er völlig aufgelöst, er verstand nicht, wie ihm diese Nachricht hatte entgehen können. Talaat will das Gefühl haben, nie aus Kairo weggegangen zu sein. Stell dir nur vor, wie schlimm es für ihn sein muss, nicht zurückzukönnen. Seit über sechs Jahren hat er Ägypten nicht mehr betreten, der Arme.
Ich bin sehr froh, ihn in Kuwait zu haben, ich mag ihn nämlich wirklich gern. In einem arabischen Land zu leben wird ihmbestimmt guttun, auch wenn ihm die Entscheidung überaus schwergefallen ist.
I n Amerika habe ich es nicht mehr ausgehalten, deshalb bin ich nach Kuwait gekommen. Als ich Egypt verliess, ging ich davon aus, dass ich höchstens three months im Ausland bleiben und dann zurückkehren würde. Amerika war für mich nie ein Zuhause, deshalb verrichtete ich meine Gebete in der Kurzform. Das erlaubt mir die Religion, solange ich auf Reisen bin. Ich muss sagen, dass das Leben in the United States unheimlich teuer ist. Anfangs wohnte ich in Manhattan, weil sich dort ein französisches lycée befindet. Ein solches besuchen meine Kinder auch in Kairo. Geplant war, dass sie in New York zur Schule gehen und wir dann im Sommer alle zusammen zurückkehren. Sie flogen nach Hause, ich aber blieb in der Verbannung. Das Leben in Manhattan war sündhaft teuer. Meine unmöblierte Dreizimmerwohnung kostete 5000 Dollar per month. Die Schränke musste ich im living room aufstellen. Das reinste Loch war das! Aber so viel kostet das in Manhattan eben. Ich hätte natürlich wegziehen können, aber die Tunnel am Morgen, einfach eine Zumutung! Die Kinder hätten dann zweieinhalb Stunden für den Schulweg gebraucht. Man hätte ihnen einen Chauffeur für fünf Uhr früh bestellen müssen, und das bei der brutalen Kälte. Ausserdem waren sie ja noch so klein.
Als meine Frau und die Kinder zurückkehrten, zog ich nach Santa Cruz in Kalifornien, dort lebte mein Kompagnon Anwar Ramadân. Das war zwar ziemlich weit vom Schuss, aber es ist eine schöne Ecke, die obendrein wesentlich günstiger ist als Manhattan. Das Allerbeste war freilich das Klima, es war wie in Alexandria, der Heimatstadt meiner Eltern.
Ach, wann sterbe ich endlich? Wann bin ich endlich wieder mit euch vereint?
D rei Kompagnons waren sie: Talaat Dhihni, Gamâl Sâlim und Anwar Ramadân. Gamâl war als Erster ausgestiegen, gefolgt von Anwar. Talaat hatte noch vier Monate ausgeharrt, sich dann aber gezwungenermassen auch auf die Arche Noah geflüchtet. Gamâl hatte sich in London niedergelassen, allein, nachdem er sich kurzentschlossen einen Tag vor der Abreise von seiner Frau hatte scheiden lassen, um jede Verbindung zu diesem unglückseligen Ort ein für alle Mal zu kappen. Anwar dagegen war mit der gesamten Familie, also mit Frau und Kindern, fortgegangen und hatte ausserdem seine Mutter, deren Schwester, seinen Chauffeur und das Dienstmädchen mitgenommen.
Allen drei war unauslöschlich in Erinnerung, wie alles angefangen hatte. Es war der 1. September 1999.
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