Arche Noah, Touristenklasse
von seiner Wiedereröffnung erfährt. Vielleicht habt ihr davon schon in den Zeitungen gelesen.
Anfangs blieb das Glück Herrn Sulzbaum treu. Er gewann auch in den Spielklubs, er gewann sogar recht ansehnliche Beträge und kaufte für seine kleine Familie eine große Wohnung mit Waschmaschinen und allem Zubehör. Sein treues Weib wurde nicht müde, ihn zu warnen: »Sulzbaum, Sulzbaum«, sagte sie. »Mit dir wird es ein schlimmes Ende nehmen.« Aber Sulzbaum lachte sie aus: »Wo steht es denn geschrieben, daß jeder Mensch beim Kartenspiel verlieren muß? Da die meisten Menschen verlieren, muß es ja auch welche geben, die gewinnen.«
Immer höher wurden die Einsätze, um die Herr Sulzbaum spielte, und dazu brauchte er immer mehr Geld. Was aber tat Herr Sulzbaum, um sich dieses Geld zu verschaffen? Nun, liebe Kinder? Was tat er wohl? Er nahm es aus der Kassa des Betriebs, in dem er angestellt war. »Morgen gebe ich es wieder zurück«, beruhigte er sein Gewissen. »Niemand wird etwas merken.«
Wahrscheinlich wißt ihr schon, liebe Kinder, wie die Geschichte weitergeht. Wenn man einmal auf die schiefe Bahn geraten ist, gibt es kein Halten mehr. Nacht für Nacht spielte Herr Sulzbaum Poker mit fremdem Geld, Nacht für Nacht wurden die Einsätze höher, und als er sich eines Morgens bleich und übernächtig vom Spieltisch erhob, war er ein steinreicher Mann. (Ich muß aus Gerechtigkeitsgründen zugeben, daß Herr Sulzbaum wirklich sehr gut Poker spielt.) In knappen sechs Monaten hatte er ein gewaltiges Vermögen gewonnen. Das veruntreute Geld gab er nicht mehr in die Betriebskassa zurück, denn in der Zwischenzeit hatte er den ganzen Betrieb erworben, und dazu noch eine Privatvilla, zwei Autos und eine gesellschaftliche Position. Heute ist Herr Sulzbaum einer der angesehensten Bürger unseres Landes.
Seine beiden Söhne genießen eine hervorragende Erziehung und bekommen ganze Wagenladungen von Spielzeug geschenkt.
Moral: Geht schlafen, liebe Kinder, und kränkt euch nicht zu sehr, daß euer Papi ein schlechter Pokerspieler ist.
Was uns im Kino am besten gefällt, ist der hohe erzieherische Wert der Filme, die man zu sehen bekommt. Immer wird der Verbrecher gefangen und seiner gerechten Strafe zugeführt, niemals macht sich ein Verbrechen bezahlt. Selbst der Durchschnitts-Zuschauer, ob er will oder nicht, muß sich auf diese Weise darüber klarwerden, daß es keinen Sinn hat, zu stehlen, zu rauben oder zu morden. Zum Schluß erwischt ihn ja doch der lange Arm der Zensur.
LIEBE DEINEN MÖRDER
Wir Intellektuelle bevorzugen natürlich die hochklassigen Filme, in denen Schauspielkunst und witzige Dialoge vorherrschen. Aber dann und wann verspüren auch wir ein gewisses Bedürfnis nach Entspannung, und dann sehen wir uns einen Kriminalfilm oder etwas dergleichen an. So geschah es auch mir, als ich neulich an einem Kino vorbeikam und folgendes angekündigt sah:
MASSAKER IN DER HÖLLE. NUR FÜR ERWACHSENE.
EASTMAN-COLOR.
Wenn ich EASTMAN-COLOR lese, ist es um mich geschehen. Ich kaufte eine Karte und trat ein.
Es begann sehr verheißungsvoll. Eine behaarte Hand näherte sich langsam der Kehle einer Frau - umschloß sie - ein erstickter Schrei klang auf - die Brille der Dame fiel zu Boden - wurde von plumpen Schuhsohlen zertreten - nein, zerrieben - eigentlich überflüssig, finde ich - wenn er sie schon umgebracht hat, warum muß er dann noch ihre Brille hinmachen - - jetzt stapfen die schweren Schuhe hinaus - die Türe öffnet sich - und in der geöffneten Tür erscheint der Vorspann.
Aufblenden.
Wir sind im Polizeihauptquartier. Inspektor Robitschek, der hartgesottene Chef der Kriminalpolizei, dem dennoch eine gewisse menschliche Wärme nicht abgeht, hält seiner Mannschaft eine Standpauke: »Das ist jetzt der 119. Mord, der im Laufe eines Jahres in Paris begangen wurde. Und die Ermordeten sind immer Hausbesitzer. Ich werde verrückt. Gerard, was sagen Sie dazu?«
»Chef«, sagt Gerard, ein junger, gutaussehender Kriminalbeamter in Zivil und mit einigem Privatvermögen. »Der Mörder ist kein Mensch, sondern ein Teufel.«
Schnitt.
Dunkle Nacht. Eine dunkle Seitengasse. Die dunklen weiblichen Gestalten, die hier auf und ab gehen, tragen dunkle enganliegende Kleider. Solchen Gegenden bleibt man besser fern, sonst wird man in dunkle Affären verwickelt.
Die Kamera fährt langsam zum fünften Stock eines trostlosen Mietshauses hinauf und weiter durch ein offenes Wohnungsfenster. In der
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