Arche

Unter den unzähligen Felsüberhängen konnten sich Hunderte von Höhlen verbergen. Der Helikopter flog über der Baumgrenze, es gab aber einige Pflanzen, die selbst in dieser Höhe noch überlebten. Der Dauerschnee begann ein Stück weiter oben. Als die Maschine die Stelle überflog, die auf der Wandkarte des Klosters eingezeichnet war, hielten sie Ausschau nach der vorspringenden Felsformation.
    In der Karteninschrift hieß es, sie sehe aus wie ein aus dem Stein hervorragender Schiffsbug, der wie von einem Segelmast gekrönt war. Der Eingang zur Arche sollte hundert Schritt südlich, und das Fenster hundert Schritt darüber liegen.
    Zwar war der Berg Ararat ein inaktiver Vulkan, doch war es sehr leicht möglich, dass Erdbeben die Felsformationen in
den vergangenen Jahrtausenden verändert hatten. Tyler kam der berühmte Felsvorsprung namens Old Man of the Mountain in New Hampshire in den Sinn. Er hatte wie ein bärtiger Mann ausgesehen und war so beliebt gewesen, dass man ihn auf der Vierteldollarmünze abbildete. Kaum war die Münze in Umlauf, brach die Felsnase ab. So konnte sich die Topografie eines Berges urplötzlich verändern. Es war mehr als unwahrscheinlich, dass der Bug noch immer vorhanden sein würde, dachte Tyler. Doch war er ihre einzige Hoffnung. Wenn es den Überhang aus irgendeinem Grund nicht mehr gäbe, wäre er mit seinem Latein am Ende.
    Sie flogen fünfmal aus südlicher Richtung an der Bergflanke vorbei. Beim sechsten Mal schrie Dilara laut auf und zeigte aus dem linken Fenster. Aus einer Bergflanke ragte es hervor wie der Bug eines Segelschiffs. Sie flogen direkt über der Arche. Dilara strahlte Tyler an. Sie war sehr aufgeregt. Er blieb skeptisch.
    Sie flogen eine Runde, um zu sehen, ob sie ein Zeichen von Ulric entdecken konnten. Alles sah verlassen aus, aber das Terrain war so felsig, dass sich darauf eine Kompanie Soldaten unbemerkt hätte verstecken können. Tyler wies den Piloten an, auf der nächsten flachen Stelle zu landen. Sie war über einen Kilometer entfernt.
    Die sechs Passagiere sprangen aus der Maschine und luden ihre Waffen und Ausrüstung aus. Die Söldner trugen schwere automatische Gewehre, sie selbst Pistolen und Maschinenpistolen. Tyler hatte auch Dilara eine Maschinenpistole angeboten, nachdem er miterlebt hatte, wie geschickt sie im Bunker mit der MP-5 umgegangen war. Sie hatte ohne Zögern zugegriffen.
    »Wie hoch sind wir hier?«, fragte Grant.
    »Nur zweitausendsiebenhundertdreiundvierzig Meter«,
sagte Tyler. »Bis zum Gipfel sind es beinahe noch einmal so viel.« Es ergab Sinn, dass die Stelle nicht höher lag, denn um Baumaterialien und auch die Tiere in die Arche schaffen zu können, musste sie zu Fuß erreichbar sein. Der Aufstieg war zwar nicht einfach, aber er war flach genug, dass Packtiere ihn bewältigen konnten.
    Noch hatte sich der Sommer nicht ganz zurückgezogen. Der Himmel war wolkenlos blau, und es herrschten zehn Grad. Beim Laufen ließ einer der Söldner wie ein gelangweilter Wanderer seine Hand über einige buschige Pflanzen mit verblichenen violetten Blüten streichen.
    »Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun«, warnte Dilara ihn. Er bedachte sie mit einem genervten Blick.
    »Warum nicht?«, erkundigte sich Tyler.
    »Weil das Blauer Eisenhut ist. In den Blättern und Blüten ist ein tödliches Gift. Es wird durch die Haut aufgenommen. Schon in Urzeiten machte man daraus ein Pfeilgift.«
    Der Söldner riss die Hand zurück, als stünde der Busch in Flammen, und wischte sie an seiner Hose ab.
    »Wenn Ihre Hand eine Weile taub werden sollte«, fügte Dilara hinzu, »brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Das vergeht wieder. Denken Sie nur daran, sich nach dem Essen nicht die Finger abzulecken.«
    Wenig später erreichten sie die gesuchte Stelle. Tyler begann, seine Schritte zu zählen. Beim dreiundneunzigsten sah er eine dunkle Öffnung in der Felswand. Eine kleine Höhle.
    Sie bildete einen Halbkreis von etwa sechs Metern Durchmesser. Die Hinterwand konnte Tyler vom Eingang aus nicht sehen. Der Ort war wie geschaffen für einen Hinterhalt. Mit Zeichen wies er die Söldner an, ein gutes Stück unterhalb des Höhleneingangs vorbeizuschleichen und sich leise von der anderen Seite zu nähern. Als sie dort angekommen waren,
zündete er eine Fackel an und schleuderte sie in die Öffnung.
    Alles blieb ruhig, aber etwas anderes hatte Tyler auch nicht erwartet. Cutter und seine Leute waren für eine so simple List viel zu diszipliniert. Deshalb holte