Archer Jeffrey
Landsleuten zufügte. Wo immer er sich hinwandte, sah oder noch schlimmer - hörte er die Schmerzensschreie seiner Kameraden; Kameraden, die das Kriegsende nahe geglaubt hatten aber es war nicht nahe genug gewesen. Er schaute zu, wie sich der Arzt immer wieder niederbeugte, um für jeden das Menschenmögliche zu tun. Wenn nicht die geringste Hoffnung bestand, einen Mann wieder zusammenflicken zu können, verhalf er ihm zu einem raschen, barmherzigen Tod. Abel lief von Mann zu Mann und organisierte Bahren für die, die gehunfähig waren, und führte die anderen Verwundeten zurück zur Ludendorff-Brücke. Als sie den Waldrand erreichten, waren von der ursprünglichen Mannschaft nur der Arzt, ein Kartoffelschäler und Abel übrig; alle anderen trugen Tote und Verwundete zum Lager zurück.
Die drei Männer marschierten in den Wald. Das feindliche Feuer war jetzt sehr nahe. Im Unterholz sah Abel die Umrisse eines auf die Brücke gerichteten Maschinengewehrs; es war defekt. Dann hörte er eine Gewehrsalve; sie war so laut, daß der Feind nicht weiter als ein paar hundert Meter entfernt sein konnte. Rasch kniete er nieder und wartete auf das nächste Krachen. Plötzlich wieder Feuer vor ihnen. Abel sprang auf und lief vorwärts, widerwillig gefolgt von dem Arzt und dem Kartoffelschäler. Sie liefen hundert Meter weiter und erreichten eine saftig grüne Grasmulde, die mit weißem Krokus bedeckt war; überall lagen die Leichen amerikanischer Soldaten. Abel und der Arzt liefen von einem zum anderen. »Es muß ein Massaker gewesen sein«, schrie Abel zornerfüllt, als er hörte, wie das Feuer sich entfernte. Der Arzt sagte nichts; vor drei Jahren hatte auch er noch geschrien.
»Kümmere dich nicht um die Toten«, war alles, was er sagte. »Schau, ob du jemanden finden kannst, der noch lebt.«
»Hier«, rief Abel und kniete neben einem Feldwebel nieder, der im Schlamm lag. Er hatte beide Augen verloren.
»Er ist tot, Sir«, sagte der Arzt, ohne nochmals hinzusehen. Abel lief zum nächsten und dann zum nächsten, und es war immer das gleiche; als er einen abgetrennten Kopf im Schlamm liegen sah, blieb er stehen. Er mußte sich immer wieder nach ihm umdrehen es sah aus wie die Büste eines griechischen Gottes, der sich nicht mehr bewegen konnte. Wie ein Kind wiederholte Abel die Worte, die er einst, zu Füßen des Barons sitzend, gelernt hatte: »›Blut und Zerstörung werden so allgemein sein und schreckliche Dinge so vertraut, daß Mütter nur noch lächeln werden, wenn sie ihre Kinder zerstückelt sehen von den Händen des Krieges.‹ Ändert sich nichts?« fragte sich Abel fassungslos.
»Nur das Schlachtfeld«, erwiderte der Arzt.
Als Abel dreißig - oder waren es vierzig? - Körper untersucht hatte, kehrte er zu dem Arzt zurück, der sich um einen Hauptmann bemühte, der von oben bis unten in blutgetränkte Bandagen gewickelt war; nur ein halbgeschlossenes Auge und der Mund waren sichtbar. Abel schaute dem Arzt hilflos zu, sah auf die Epauletten des Hauptmanns - 9. Panzerdivision - und dachte an Leonards Worte: »Weiß Gott, wie groß unsere Verluste sind.«
»Verdammte Deutsche«, sagte Abel.
»Ja, Sir«, sagte der Arzt.
»Ist er tot?« fragte Abel.
»Beinahe«, antwortete der Arzt mechanisch. »Er verliert so viel Blut, daß es nur eine Frage der Zeit ist.«
Er schaute auf. »Sie können hier nichts mehr tun, Oberst. Warum versuchen Sie nicht, den einen Überlebenden zum Feldlazarett zurückzubringen, bevor er stirbt? Teilen Sie dem Lagerkommandanten mit, daß ich weitergehe und jeden Mann brauchen kann.«
»In Ordnung«, sagte Abel und half dem Arzt, den Hauptmann vorsichtig auf die Bahre zu legen. Abel und der Kartoffelschäler trabten langsam zum Lager zurück; der Arzt hatte sie gewarnt, daß jede plötzliche Erschütterung den Blutverlust noch vergrößern könne. Während des ganzen, drei Kilometer langen Marsches zum Basislager ließ Abel den Kartoffelschäler kein einzigesmal ausruhen. Er wollte dem Mann eine Chance geben, weiterzuleben, und dann zum Arzt im Wald zurückzukehren.
Mehr als eine Stunde stapften sie im Regen durch den Schlamm, und Abel war überzeugt, daß der Hauptmann gestorben war. Als sie endlich das Feldlazarett erreichten, waren beide Männer erschöpft. Abel übergab die Bahre einem Ärzteteam.
Als der Hauptmann langsam weggefahren wurde, öffnete er das nicht verbundene Auge und schaute Abel an; er versuchte den Arm zu heben. Abel salutierte und hätte vor Freude über das geöffnete Auge und
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