Archer Jeffrey
empfunden zu haben. Er führte sie in das Dunkel der 57. Straße zurück, und sie dachte daran, daß er kein Morgen erwähnt hatte. Die Affäre, die keine war, erfüllte sie mit unbestimmter Traurigkeit.
Als Richard sie Montag bei Bloomingdale anrief und für Freitag abend einlud, war sie erstaunt, wie sehr sie sich darüber freute. Sie verbrachten fast das ganze Wochenende zusammen: ein Konzert, ein Kino, ein Baseballspiel. Nachdem das Weekend vorüber war, hatte Florentyna so viel harmlose Lügen über ihr Leben erzählt, daß die Erfindungen einander widersprachen und Richard mehr als einmal verwirrten. Jetzt fiel es ihr noch schwerer, ihm eine ganz andere, diesmal wahre Geschichte zu erzählen. Als Richard Sonntag abends nach Harvard zurückkehrte, versuchte sie sich einzureden, daß ihre Täuschung unwichtig sein würde, sobald ihre Beziehung zu Ende ging. Aber Richard rief jeden Tag an und verbrachte auch die folgenden Wochenenden mit Florentyna. Allmählich wurde ihr klar, daß die Sache nicht so einfach enden würde; sie hatte sich in ihn verliebt. Sobald sie sich das eingestanden hatte, beschloß sie, ihm am nächsten Wochenende die Wahrheit zu sagen.
33
Richard saß in einer Vorlesung und träumte vor sich hin. Er war so verliebt in das Mädchen, daß er sich nicht einmal auf den Börsenkrach von 1929 konzentrieren konnte. Wie sollte er seinem Vater beibringen, daß er ein polnisches Mädchen heiraten wollte, das bei Bloomingdale Wollmützen und Handschuhe verkaufte? Richard verstand absolut nicht, warum sie, die so intelligent war, so wenig Ehrgeiz zeigte; hätte sie Möglichkeiten gehabt wie er, sie wäre, davon war er überzeugt, bestimmt nicht bei Bloomingdale gelandet. Richard entschied, daß seine Eltern sich mit seiner Wahl abfinden mußten, denn am folgenden Wochenende würde er Jessie bitten, seine Frau zu werden.
Wann immer Richard Freitag abends zu seinen Eltern zurückkam, verließ er das Haus in der 68. Straße, um irgend etwas Sinnloses bei Bloomingdale einzukaufen - nur damit Jessie wußte, daß er wieder in New York war. Er hatte bereits jeden seiner Verwandten mit einem Paar Handschuhen beglückt. An diesem Freitag sagte er seiner Mutter, daß er Rasierklingen kaufen gehe.
»Mußt du nicht, Liebling, du kannst die deines Vaters benutzen.«
»Nein, nein, ich kaufe mir selbst welche. Wir benützen nicht dieselbe Marke«, fügte er schwach hinzu. »In ein paar Minuten bin ich wieder zurück.«
Er lief beinahe die acht Blocks zu Bloomingdale und wurde gerade noch vor Geschäftsschluß eingelassen. Er wußte, daß er Jessie um halb acht sehen würde, aber er konnte nie der Gelegenheit widerstehen, kurz mit ihr zu plaudern. Steve hatte einmal behauptet, daß Liebe etwas für Dummköpfe sei. Heute morgen hatte er an seinen beschlagenen Rasierspiegel gemalt: »Ich bin ein Dummkopf.«
Als er zu Jessies Tisch kam, war sie nirgends zu sehen. In einer Ecke stand Maisie und bemalte sich die Fingernägel. Er fragte nach Jessie, und Maisie schaute auf, als hätte man sie bei der wichtigsten Tätigkeit des Tages unterbrochen.
»Sie ist schon nach Hause gegangen, Richard. Vor ein paar Sekunden. Weit kann sie noch nicht sein. Ich dachte, ihr trefft euch später?«
Ohne zu antworten lief Richard auf die Lexington Avenue hinaus. Unter den vielen Menschen, die nach Hause eilten, suchte er nach Florentynas Gesicht. Er entdeckte sie auf der anderen Straßenseite, sie ging in Richtung Fifth Avenue. Offensichtlich war sie nicht auf dem Heimweg, und etwas schuldbewußt beschloß Richard, ihr zu folgen. Vor Scribner’s auf der 48. blieb sie stehen. Richard sah sie in den Buchladen gehen. Wenn sie etwas lesen wollte, konnte sie es doch bei Bloomingdale finden? Richard war verwirrt. Er schaute durchs Fenster, während Jessie sich mit einem Verkäufer unterhielt, der verschwand und mit zwei Büchern wiederkehrte. Er konnte die Titel lesen: The Affluent Society von John K. Galbraith und Inside Russia Today von John Günther. Jessie unterschrieb etwas und bekam die beiden Bücher - auch das wunderte Richard - und verließ das Geschäft. Er verschwand um die Ecke.
»Wer ist sie?« fragte sich Richard laut, als sie zu Bendel’s ging. Der Portier grüßte respektvoll, er kannte sie offenbar. Wieder schaute Richard durch das Fenster, während sich Verkäufer mit mehr als üblicher Beflissenheit um Florentyna bemühten. Eine alte Dame brachte ein Paket, das Florentyna offensichtlich erwartet hatte. Sie öffnete es
Weitere Kostenlose Bücher