Archer Jeffrey
15 Uhr 59 das Plaza betraten, gaben sie ihre Strohhüte ab, schlenderten lässig durch die Halle und erblickten die Familiengruppe, die sie im Wintergarten erwartete. Dort saßen sehr aufrecht in ihren bequemen Stühlen die beiden Großmütter Kane und Cabot und flankierten eine andere alte Dame, die, so nahm William an, in der Familie Lester in etwa dem entsprach, was Großmutter Kane war. Mr. und Mrs. Charles Lester, ihre Tochter Susan (die keinen Blick von William wandte) und Alan Lloyd vervollständigten den Kreis. Zwei freie Stühle warteten auf William und Matthew.
Mit hochgezogenen Brauen winkte Großmutter Kane den nächsten Kellner herbei. »Frischen Tee und etwas mehr Kuchen, bitte.«
Rasch verschwand der Kellner in der Küche. »Mehr Tee und Kuchen für Tisch 23«, rief er in das Tellergeklapper.
»Kommt schon«, antwortete eine Stimme aus der dampfenden Dunkelheit.
»Frisch aufgegossener Tee und etwas Sahnekuchen, Madam«, sagte der Kellner, als er wieder erschien.
»Dein Vater wäre heute stolz auf dich, William«, sagte der ältere Mann zu dem größeren der beiden Jungen.
Der Kellner fragte sich, was der gutaussehende junge Mann erreicht hatte, um eine solche Bemerkung zu verdienen.
William hätte den Kellner kaum beachtet, hätte dieser nicht einen Silberreif am Handgelenk getragen. Der Schmuck hätte ohne weiteres von Tiffany stammen können; ihn bei einem Kellner zu sehen, wunderte ihn.
»William«, sagte Großmutter Kane, »zwei Stück Kuchen sind genug. Das ist nicht deine letzte Mahlzeit, bevor du nach Harvard fährst.«
13
Als Abel in dieser Nacht in seinem kleinen Zimmer im Plaza Hotel wach lag und an jenen William dachte, dessen Vater stolz auf den Sohn gewesen wäre, wurde ihm zum erstenmal klar, was er im Leben erreichen wollte: er wollte von den Williams dieser Welt als ihresgleichen akzeptiert werden.
Abel hatte es nach seiner Ankunft in New York nicht leicht gehabt. Er mußte mit George und zwei seiner Cousins ein Zimmer teilen, in dem sich nur zwei Betten befanden, und er konnte daher nur schlafen, wenn eines der Betten frei war. Georges Onkel konnte ihm keine Arbeit geben, und Abel suchte ein paar Wochen lang, in denen er beinahe seine ganzen Ersparnisse verbrauchte, zwischen Brooklyn und Queens nach einem Broterwerb. Schließlich fand er Arbeit bei einem Fleischer, der ihm für eine Sechseinhalb-Tage-Woche neun Dollar bezahlte und ihm erlaubte, in einer Kammer über dem Laden zu schlafen. Der Laden lag im Herzen eines beinahe autonomen kleinen polnischen Viertels an der unteren East Side, und Abel verlor bald die Geduld mit der Ghettomentalität seiner Landsleute, von denen die meisten sich nicht einmal die Mühe nahmen, ein bißchen Englisch zu lernen.
An den Wochenenden traf er regelmäßig mit George und seinen fortwährend wechselnden Mädchen zusammen, doch an den meisten freien Abenden besuchte er einen Kurs, in dem er englisch lesen und schreiben lernte.
Seine langsamen Fortschritte bekümmerten ihn nicht, denn er hatte seit seinem achten Lebensjahr kaum Gelegenheit gehabt, überhaupt zu schreiben. Nach zwei Jahren sprach er Englisch fließend; er hatte nur den Anflug eines Akzents behalten. Jetzt war er bereit, den Fleischerladen zu verlassen - aber wie und wohin sollte er gehen? Als er eines Tages eine Lammkeule zurichtete, hörte er einen der besten Kunden des Geschäfts, den Personalchef des Plaza Hotels, sich darüber beklagen, daß er einen jungen Kellner wegen eines kleinen Diebstahls hatte entlassen müssen.
»Wo soll ich so rasch einen Ersatz hernehmen?« ärgerte sich der Manager.
Der Fleischer wußte keine Lösung. Abel wußte sie. Er zog seinen einzigen Anzug an, ging siebenundvierzig Häuserblocks weiter und bekam die Stellung.
Kaum war er im Plaza, schrieb er sich in einen Abendkurs an der Columbia University ein. Abend für Abend arbeitete er und schrieb, das Wörterbuch in der Hand, vor sich hin. Am Morgen, zwischen dem Servieren des Frühstücks und dem Tischdecken für den Lunch, kopierte er den Leitartikel der New York Times und schlug jedes ihm unbekannte Wort in seinem Wörterbuch nach, das er antiquarisch gekauft hatte.
In den folgenden drei Jahren arbeitete sich Abel durch die Reihen der Kellner im Plaza hinauf, bis er schließlich zum Kellner im Oak Room avancierte und mit Trinkgeldern fünfundzwanzig Dollar pro Woche verdiente. In seiner eigenen Welt fehlte es ihm an nichts.
Abels Lehrer an der Columbia University war von seinen Fortschritten
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