Archer Jeffrey
und reichte ihn dem Bankier, der das Dokument eingehend begutachtete – ganz wie ein Briefmarkenspezialist eine alte Marke überprüft, bevor er sie für tadellos erklärt. »Danke«, sagte er und reichte ihn seinem Besitzer zurück.
Auf eine Handbewegung Herrn Bischoffs verließ einer der übrigen Bankiers unverzüglich den Raum. »Nur einen Augenblick bitte. Mein Sohn wird die Ikone bringen, die sich bei uns in sicherem Gewahrsam befindet. Darf ich Ihnen inzwischen einen Kaffee anbieten? Russischen«, fügte er hinzu.
Der Kaffee wurde wenige Sekunden später von einer weiteren elegant gekleideten Dame hereingetragen.
»Danke«, sagte Anna Petrowa, die ein wenig eingeschüchtert wirkte, aber Romanow blieb stumm, bis Herr Bischoff junior mit einer kleinen Kassette in der Hand zurückkehrte, die er seinem Vater übergab.
»Sie werden verstehen, daß ich in dieser Angelegenheit mit äußerster Delikatesse vorgehen muß«, sagte der alte Herr in vertraulichem Ton. »Es wäre ja durchaus möglich, daß diese Ikone nicht derjenigen entspricht, die Ihre Regierung sucht.«
»Ich verstehe«, sagte Romanow.
»Dieses hervorragende Beispiel russischer Kunst befindet sich seit 1938 in unserer Obhut, als es auf den Namen eines gewissen Herrn Emmanuel Rosenbaum in der Bank deponiert wurde.«
Die beiden Besucher sahen sich entgeistert an.
» Newosmoschno « , flüsterte Anna ihrem Chef zu. »Er hätte doch nie einen …«
»Der Name ist vermutlich genau aus diesem Grund gewählt worden.« Im Ärger über ihre Unvorsichtigkeit schnitt Romanow Anna grob das Wort ab. »Ist das so schwer zu begreifen? Völlig einleuchtend«, er wandte sich wieder dem Bankier zu. »Darf ich die Ikone sehen?«
Herr Bischoff stellte die Kassette auf den Tisch. Die drei Männer in Grau traten einen Schritt vor. Romanow blickte auf. »Das Schweizer Gesetz schreibt drei Zeugen vor, wenn wir ein Schließfach auf den Namen eines anderen öffnen«, erläuterte der alte Herr.
Romanow nickte einmal kurz.
Herr Bischoff zog einen Schlüssel aus der Tasche und machte sich daran, die Metallkassette aufzuschließen, während sein Sohn sich vorbeugte und mit einem anderen Schlüssel ein zweites Schloß öffnete. Nach dieser kleinen Zeremonie drückte Herr Bischoff den Deckel der Kassette auf und drehte sie so, daß seine Gäste hineinsehen konnten. Wie ein Kind, das voller Erwartung in den Sack des Weihnachtsmannes greift, griff Romanow ins Kistchen und zog mit großen Augen die Ikone heraus: ein wunderschönes Bild: eine kleine, rechteckige Holztafel voller winziger Farbmomente in Rot, Gold und Blau, aus denen sich mosaikartig die Figur eines Mannes zusammensetzte, auf dessen Schultern die Sorgen der ganzen Welt zu lasten schienen, obwohl das Gesicht bei aller Traurigkeit eine heitere Gelassenheit ausstrahlte. Was Romanow da in der Hand hielt, war so großartig und wundervoll wie das schönste Bild, das er im Winterpalast gesehen hatte. Da Romanow ergriffen schwieg, wußte keiner im Raum so recht, wie man sich verhalten sollte, bis schließlich Anna das Wort ergriff:
»Das ist ein Meisterwerk«, sagte sie. »Es stammt auch ohne Zweifel aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Wie Sie aber erkennen können, stellt es keineswegs den heiligen Georg mit dem Drachen dar.«
Romanow stimmte ihr zu, brachte es jedoch nicht über sich, das Bild aus der Hand zu geben. »Wissen Sie aber auch, woher diese Ikone stammt?« wollte er wissen.
»Natürlich«, antwortete Anna, die gern einmal selbst hervortrat. »Die Ikone zeigt den heiligen Petrus – Sie erkennen es an dem Schlüssel in seinen Händen –, und gemalt hat sie Dionysij im Jahr 1471. Zweifelsohne ist sie eines der schönsten Beispiele seines Schaffens. Nur, die Zaren-Ikone ist sie nicht.«
»Aber sie gehört dem russischen Volk?« fragte Romanow, der wenigstens einen Lohn für all seine Mühen erhoffte.
»Nein, Genosse Major«, erwiderte die Wissenschaftlerin mit Bestimmtheit. »Sie gehört der Bayerischen Staatsgemäldesammlung, aus der sie seit dem Tag, an dem Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, verschwunden ist.«
Bischoff kritzelte etwas auf ein Blatt Papier, das vor ihm lag. Er wußte gleich mindestens eine Bank in München, die in Zukunft mit ihm gerne ein Geschäft abschließen würde.
Romanow, der außer einem »Danke sehr« kein Wort über die Lippen brachte, legte die Ikone wieder in die Kassette, und nachdem er seinen Schlüssel im Schloß gedreht hatte, schloß Herr Bischoff junior seinerseits ab und verließ
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