Archer Jeffrey
bei seiner Ankunft empfangen hatten.
Zwei zerrten ihn von der Pritsche und warfen ihn auf den Stuhl, auf dem noch vor Minuten ihr Chef gesessen hatte. Dann drehten sie ihm die Arme nach hinten und legten ihm Handschellen an.
Das war der Moment, als Connor das scharfe Rasiermesser zum erstenmal sah. Während zwei der Kerle ihn festhielten, rasierte der dritte ihm mit nur vierzehn Strichen jedes Haar vom Kopf, allerdings mit einer beachtlichen Menge Haut, da er sich nicht die Mühe gemacht hatte, Connor zuerst den Kopf einzuseifen. Noch lange nachdem die drei Burschen Connor zusammengesackt auf dem Stuhl hatten sitzen lassen, lief ihm Blut übers Gesicht und wurde von seinem Hemd aufgesogen.
Er erinnerte sich an die Worte des Polizeichefs bei seinem ersten Besuch: »… solange ich Polizeichef von St. Petersburg bin… wird es keine subtileren Formen von Folter geben.« Aber da war Zerimskij noch nicht Präsident gewesen.
Schließlich gelang es ihm zu schlafen, doch wie lange er schlief, hatte Connor später nicht sagen können. Er erinnerte sich als nächstes daran, daß er vom Boden hochgerissen, wieder auf den Stuhl geworfen und zum zweitenmal darauf festgehalten wurde.
Der dritte Mann hatte jetzt statt des Rasiermessers eine lange, dicke Nadel in der Hand und ging mit der gleichen Feinfühligkeit zu Werke, wie er es als Barbier getan hatte, als er Connor nun die Nummer 12995 auf das linke Handgelenk tätowierte. Offenbar hielt man nichts von Namen, wenn man im Kruzifix abstieg.
Als die Schläger ein drittes Mal erschienen, rissen sie ihn erneut vom Fußboden hoch und stießen ihn aus der Zelle auf einen langen, dunklen Korridor. In solchen Augenblicken hätte Connor gern auf einen seiner besonderen Wesenszüge verzichtet: seine lebhafte Phantasie. So konnte er sich nur bemühen, möglichst nicht daran zu denken, was sie mit ihm vorhatten. Als ihm die Tapferkeitsmedaille verliehen wurde, war lobend erwähnt worden, wie furchtlos Lieutenant Fitzgerald seine Männer geführt, wie selbstlos er einen Offizierskameraden gerettet und wie verwegen er seine Flucht aus einem nordvietnamesischen Kriegsgefangenenlager bewerkstelligt hatte. Aber Connor wußte, daß er noch nie einem Menschen begegnet war, der wirklich furchtlos war. In Nan Dinh hatte er es ein Jahr, fünf Monate und zwei Tage ausgehalten, aber damals war er erst zweiundzwanzig gewesen, und mit zweiundzwanzig bildet man sich ein, man sei unsterblich.
Nachdem die Kerle ihn aus dem Korridor in die Morgensonne hinausgestoßen hatten, sah er als erstes eine Gruppe Häftlinge ein Gerüst aufbauen, zweifellos eine Hinrichtungsstätte. Connor war jetzt einundfünfzig. Niemand brauchte ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er nicht unsterblich war.
Als Joan Bennett an diesem Montag in Langley zur Arbeit kam, wußte sie genau, wie viele Tage ihrer Achtmonatsstrafe sie hinter sich gebracht hatte, denn jeden Abend, bevor sie von zu Hause wegfuhr, futterte sie ihre Katze und hakte einen Tag am Kalender an der Küchenwand ab
Sie stellte ihren Wagen am Westparkplatz ab und begab sich direkt zur Bibliothek. Als sie sich eingetragen hatte, stieg sie die Metalltreppe hinunter zur Reference Library, der Nachschlageabteilung. Die folgenden neun Stunden, mit nur einer Pause gegen Mitternacht, würde sie die neuesten, per E-Mail übermittelten Auszüge von Zeitungen aus dem Nahen Osten durchlesen. Ihre Hauptaufgabe war, nach Hinweisen auf die USA zu suchen und diese elektronisch zu kopieren, falls sie bedenklicher Natur waren. Anschließend wurden die Hinweise mit ähnlich lautenden in anderen Zeitschriften verglichen und die betreffenden Kopien per EMail ins Büro ihres Chef in der dritten Etage weitergeleitet, der dann zu einer zivilisierteren Stunde über die möglichen Konsequenzen nachdachte. Es war eine langweilige, geisttötende Arbeit. Bei mehreren Gelegenheiten hatte Joan schon ernsthaft in Betracht gezogen zu kündigen, hatte sich dann aber doch entschieden, Gutenburg diese Genugtuung nicht zu gönnen. Kurz vor ihrer mitternächtlichen Essenspause stolperte Joan über eine Schlagzeile der Istanbul News: »Kurzer Prozeß für Mafia-Killer«. Bei Mafia dachte Joan automatisch an Italiener; deshalb überraschte es sie, daß es in dem Artikel um einen südafrikanischen Terroristen ging, der einen Anschlag auf den neuen russischen Präsidenten versucht hatte. Sie hätte sich nicht weiter dafür interessiert, wäre ihr nicht das skizzierte Porträt des Verhafteten ins
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