Archer Jeffrey
Auge gesprungen.
Joans Herz begann heftig zu pochen, während sie aufmerksam den langen Artikel von Fatima Kusmann durchlas, der OsteuropaKorrespondentin der Istanbul News, in dem die Journalistin berichtete, daß sie wahrend einer Kundgebung in Moskau und der Rede Zerimskijs neben dem Profikiller gesessen hatte.
Mitternacht verging, doch Joan saß immer noch an ihrem Schreibtisch.
Während Connor auf dem Gefängnishof stand und zu dem halb errichteten Gerüst hinaufstarrte, fuhr ein Streifenwagen herbei, und ein Polizist schob Connor in den Fond. Er wunderte sich, daß der Polizeichef persönlich ihn hier erwartete. Boltschenkow erkannte den hageren, kahlgeschorenen Mann kaum wieder.
Keiner sprach, wahrend der Wagen aus dem Gefängnishof und durchs Tor und nach einer Rechtskurve mit genau fünfzig Stundenkilometern am Ufer der Newa entlangfuhr. Sie kamen an drei Brücken vorbei, ehe sie die vierte zur Stadtmitte überquerten. Connor blickte aus dem Seitenfenster auf die Eremitage. Es konnte keinen größeren Unterschied geben als zwischen diesem blaßgrünen Palast und dem Gefängnisbau, aus dem er kam. Er schaute zum klaren blauen Himmel empor, richtete den Blick dann wieder auf die Fußgänger auf den Straßen. Wie schnell man ihm deutlich gemacht hatte, was ihm seine Freiheit bedeutete! Von der Südseite des Flusses bog der Fahrer noch einmal nach rechts ab und hielt nach ein paar hundert Metern vor dem Justizpalast. Ein wartender Polizist öffnete die Wagentür. Hätte Connor an Flucht gedacht, hätte er es sich beim Anblick der etwa fünfzig Polizeibeamten auf dem Bürgersteig rasch anders überlegt. Sie bildeten eine lange Reihe, als der Gefangene die Freitreppe zu dem gewaltigen Gebäude hinaufgeführt wurde.
Man brachte ihn zur Registrierung, wo ein Polizist Connors linken Arm auf seinen Schreibtisch drückte, das Handgelenk beäugte und die Nummer 12995 auf einem Formular eintrug. Dann marschierte man mit Connor einen Marmorkorridor entlang zu einer schweren Flügeltür aus massiver Eiche. Ein paar Schritte, ehe Connor sie erreichte, schwang die Tür auf, und er betrat einen überfüllten Gerichtssaal.
Es bestand kein Zweifel, daß man auf ihn gewartet hatte.
Joan gab die Wortfolge Anschlag auf Zerimskij in das Suchfeld ein. Alles, was es an Presseberichten gab, sagte fast einstimmig aus, daß der auf dem Platz der Freiheit verhaftete Mann Piet de Villiers war, ein südafrikanischer Killer, den die russische Mafya gedungen hatte, Zerimskij zu töten. Ein Gewehr, das man in de Villiers Gepäck gefunden hatte, konnte als die Waffe identifiziert werden, mit der Ricardo Guzman, ein kolumbianischer Präsidentschaftskandidat, vor zwei Monaten in Bogota erschossen worden war.
Joan scannte die Skizze von de Villiers aus der türkischen Zeitschrift in ihren Computer und vergrößerte sie, bis sie den gesamten Bildschirm ausfüllte. Dann zoomte sie die Augen des Mannes auf Lebensgröße. Nun war sie sich der wahren Identität des Betreffenden, dem in St. Petersburg der Prozeß gemacht werden sollte, absolut sicher.
Joan blickte auf die Uhr. Kurz nach zwei. Sie griff nach dem Telefon, das neben ihr stand, und wählte eine Nummer, die sie auswendig kannte. Es läutete fünfmal, ehe eine schläfrige Stimme fragte: »Wer ist da?«
Joan antwortete bloß: »Ich muß unbedingt mit Ihnen reden. In einer guten Stunde bin ich bei Ihnen.«
Wenige Augenblicke später wurde auch jemand anders durch das Klingeln seines Telefons aus dem Schlaf gerissen. Er lauschte aufmerksam; dann sagte er: »Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als unseren ursprünglichen Plan um ein paar Tage vorzuverlegen.«
Connor stand vor der Anklagebank und blickte sich im Gerichtssaal um. Seine Augen hefteten sich als erstes auf die Geschworenen. Zwölf ehrliche und unparteiische Männer? Wohl kaum. Nicht einer schaute auch nur in seine Richtung. Connor vermutete, daß es nicht lange gedauert hatte, diese Leute auszuwählen, und sicher hatte auch niemand gefordert, den einen oder anderen wegen Befangenheit auszutauschen.
Jeder im Gerichtssaal erhob sich, als ein Mann in langem schwarzem Talar aus einer Seitentür erschien. Er nahm in dem großen Ledersessel in der Mitte der Gerichtstribüne unter einem überlebensgroßen Porträt von Präsident Zerimskij Platz. Der Gerichtsschreiber begann, die Anklage auf russisch vorzulesen. Connor vermochte dem Verfahren kaum zu folgen und wurde natürlich auch nicht gefragt, ob er sich schuldig oder
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