Archer, Jeffrey
Referats las Florentyna ihre Arbeit durch und war zuversichtlich; doch ihr Selbstvertrauen schwand, als sie Ferpozzis Seminarraum betrat. Der Saal war voll von erwartungsvollen Studenten, und als sie die Liste an der Wand las, stellte sie mit Schrecken fest, daß sie nicht nur die einzige im ersten Studienabschnitt war, sondern auch die einzige, die nicht Kunstgeschichte studierte, und darüber hinaus die einzige Frau. Auf einem Tisch gegenüber einer weißen Leinwand stand ein Projektor.
»Ach, die Zerstörerin ist da«, begrüßte sie der Professor, als Florentyna sich auf den letzten freien Platz setzte.
»Jenen, die Miss Rosnovski nicht kennen, sei gesagt, man lade sie lieber nicht nach Hause zum Tee ein.«
Er lächelte über seine Bemerkung und klopfte mit der Pfeife auf den Tisch, ein Zeichen, daß das Seminar begann.
»Miss Rosnovski«, sagte er, »wird über Borrominis Oratorio di San Filippo Neri sprechen.«
Florentynas Herzschlag setzte aus. »Ach nein«, wieder lächelte er, »das ist ein Irrtum, wenn ich mich recht erinnere, ist es die Kirche San Carlo.«
Florentyna hielt ihren Vortrag, zeigte Dias und beantwortete Fragen. Ferpozzi rauchte schweigend seine Pfeife und verbesserte nur hie und da Florentynas Aussprache italienischer Namen.
Als Florentyna sich setzte, nickte er nachdenklich und sagte: »Ein guter Vortrag über die Arbeit eines Genies.«
Zum erstenmal an diesem Tag entspannte sich Florentyna. Ferpozzi sprang rasch auf. »Es ist jetzt meine traurige Aufgabe, Ihnen einen Gegensatz zu zeigen, und ich wünsche, daß sich jeder für eine Diskussion nächste Woche Notizen macht.«
Er ging zum Projektor und schob das erste Dia ein.
Entgeistert starrte Florentyna auf ein zehn Jahre altes Bild des Chicago Baron-Hotels, das ein paar elegante kleine Apartmenthäuser überragte. In dem Saal wurde es totenstill; ein paar Studenten drehten sich nach ihr um, um ihre Reaktion zu sehen.
»Barbarisch, nicht wahr?«
Ferpozzi lächelte. »Ich spreche nicht nur von dem Gebäude, einem wertlosen Werk plutokratischer Selbstgefälligkeit, sondern vom Einfluß des Gebäudes auf die umliegende Stadt. Achten Sie darauf, wie dieser Turm die Symmetrie und das Gleichgewicht stört, um alle Blicke auf sich zu ziehen.«
Er projizierte ein zweites Bild – das San Francisco Baron. »Etwas besser«, erklärte er der aufmerksamen Zuhörerschaft, »aber nur, weil die Stadtverwaltung seit dem Erdbeben von 1906 keine Gebäude erlaubt, die mehr als zwanzig Stockwerke haben. Und jetzt wollen wir ins Ausland reisen«, fuhr er fort. Auf der Leinwand erschien das Kairo Baron; in seinen glänzenden Scheiben spiegelten sich das Chaos und die Armut der umliegenden Slums.
»Wer kann es den Einheimischen verdenken, hin und wieder eine Revolution zu unterstützen, wenn man ein solches Monument des Mammons in ihrer Mitte aufstellt, während sie in elenden Hütten zu überleben versuchen?«
Es folgten unbarmherzige Ablichtungen der Baron-Hotels in London, Johannesburg und Paris, bis der Professor abschließend sagte: »Nächste Woche möchte ich Ihre Meinung über diese Monstrositäten hören. Haben sie einen architektonischen Wert? Lassen sie sich aus finanziellen Gründen rechtfertigen, und werden unsere Enkel sie noch sehen? Wenn ja, warum. Guten Tag.«
Alle gingen, nur Florentyna blieb sitzen und öffnete ein Paket.
»Ich habe Ihnen ein Abschiedsgeschenk mitgebracht«, sagte sie und hielt dem Professor eine braune Teekanne hin. Im selben Moment öffnete Ferpozzi die Hände, Florentyna ließ los, und die Kanne fiel zu Boden.
Er starrte auf die Scherben. »Das habe ich verdient.«
Er lächelte sie an.
»Was Sie getan haben, war Ihres Rufes nicht würdig«, sagte sie hart.
»Ganz richtig«, erwiderte er, »aber ich wollte feststellen, ob Sie ein Rückgrat haben. Vielen Frauen fehlt es, wissen Sie.«
»Glauben Sie wirklich, Ihre Position erlaubt Ihnen…«
Er winkte ab. »Nächste Woche werde ich mit Interesse Ihre Verteidigung der Gebäude Ihres Vaters lesen, und glücklich sein, wenn Sie mich eines Besseren belehren.«
»Glauben Sie wirklich, daß ich noch einmal komme?«
»Natürlich, Miss Rosnovski. Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was ich von meinen Kollegen über Sie hörte, werde ich mich nächste Woche hart verteidigen müssen.«
Florentyna mußte sich beherrschen, um nicht die Tür hinter sich zuzuwerfen.
Eine Woche lang unterhielt sie sich mit Architekturpro-fessoren, mit den Stadtplanern von Boston,
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