Ardeen: Band 1: Der Kreis der Magie (German Edition)
sah die Finngul in die Zukunft der jungen Menschen und offenbarte ihnen ihre wahren Namen. Jene Namen, die mit ihren Schicksalen verbunden waren. Oft verknüpften sich damit auch kleine Prophezeiungen. Sowohl gute als auch schlechte.
Der große Tag der Namensgebung kam, an dem Eryn und fünf weitere junge Männer und Frauen ihre Kriegernamen erhalten sollten und das ganze Dorf stieg in gespannter Erwartung den Berg zur Hütte der Finngul hinauf. Das war ein großes Ereignis. Und nun hatten sich alle Dorfbewohner, die den Weg zur Hütte hinauf bewerkstelligen konnten, in gebührendem Abstand versammelt und warteten.
Aus dem Schornstein der Hütte stieg Rauch auf, der sich als schmales Band in den Himmel kräuselte. Schließlich öffnete sich die Tür und das von tausend Runzeln zerfurchte Gesicht der Finngul schaute hinaus. Das schlohweiße Haar bestand nur noch aus wenigen Strähnen, die kaum die kahlen Stellen überdeckten.
Wie alt mag sie schon sein? Eryn konnte sich nicht erinnern, dass sie einmal anders ausgesehen hätte. Dennoch strahlte sie die Kraft der Berge und des Waldes aus. Sie winkte mit der Hand und verschwand wieder in der Hütte.
Deren, ein hagerer Jüngling, ging als Erster. Er öffnete die Holztür und verschwand im Inneren, während alle draußen gespannt warteten. Leise tuschelten die Leute miteinander, dann kam Deren wieder heraus und verkündete stolz:
„Mein Name ist Deren Wolfsbruder.“
Und die versammelte Menge begrüßte ihn, wie das Ritual es vorschrieb: „Wir heißen dich willkommen, Deren Wolfsbruder, als Mitglied unseres Clans.“
Es folgte einer nach dem anderen und sie kamen zurück als Savas Eichenstamm, Griselle Windhaar, Arun Falkenherz und Aileen Nachtschatten.
Als Letzter ging Eryn. Die Tür der Hütte war aus altem, verwittertem Holz und hing schief in den Angeln. Man musste sie leicht anheben, um sie öffnen zu können. Drinnen brannte ein Feuer, über dem ein Kessel hing. Im Kessel brodelte es. Die Finngul saß auf einem Haufen Felle und bedeutete Eryn, näher zu treten. Es roch nach Rauch, aber auch nach dem berauschenden Duft von Kräutern. Was in dem Kessel brodeln mochte, konnte Eryn nicht erraten. Vorsichtig kam er näher, als ihn die Alte heranwinkte. Niemand hatte ihm gesagt, was in der Hütte zu tun war. Immer nur hieß es: „Ihr geht dann zur Finngul und sie wird euch eure Namen verraten.“
Das Schweigen schien eine Ewigkeit zu dauern. Die Finngul sah nur starr in das Brodeln des Kessels. Schließlich krächzte sie mit dünner Stimme:
„Wer kommt, um seinen Namen zu erfahren?“
„Eryn, Sohn von Bron Bärentöter und Lyesell Sonnenstrahl.“
Einen kurzen Augenblick fixierte die Alte Eryn mit ihren vom Alter milchigen Augen, dann starrte sie wieder in den Kessel. Es kam Eryn vor, als müsste er länger warten als die anderen . Ist Deren nicht im Handumdrehen wieder herausgekommen? Aber wahrscheinlich empfinde ich die Zeit nur deshalb als so lange, weil ich warten muss. Wird mein Name mächtig sein? Der Name eines großen Jägers oder Kriegers?
Eryns Gedanken waren abgeschweift, als die Finngul endlich zu ihm sprach: „Eryn, dein Name ist Bluthand, Eryn Bluthand.“
Der Name eines starken Kriegers, dachte Eryn stolz. „Danke, weise Finngul.“
Die Alte aber entgegnete: „Danke mir nicht, denn deine Hand wird in Blut getaucht sein.“
Sie winkte, damit er schnell ginge und auch Eryn war froh, die Hütte wieder verlassen zu können. Draußen verkündete er seinen Namen und die Gemeinschaft hieß ihn willkommen. Nun würde man ins Dorf zurückkehren, um zu feiern. Verheißungsvolle Namen waren heute vergeben worden. Und die Zukunft würde es zeigen, welch große Taten ihre Träger einmal vollbringen würden.
Die Finngul blieb allein in ihrer Hütte zurück. Den Kessel hatte sie vom Feuer genommen. Zu viele düstere Bilder waren ihr offenbart worden. Da kamen junge Menschen hoffnungsvoll zu ihr und sie sah nichts als Tod und Verderben. Besonders um Eryn rankten sich Geheimnisse, dunkle Geheimnisse. Vieles war in seiner Zukunft möglich. Er brachte das Verderben über andere – Eryn Bluthand.
„Ein großer Tag, Alte “ , ertönte plötzlich eine mächtige, dunkle Stimme. Sie kannte diesen Klang, obwohl sie ihn lange nicht mehr gehört hatte. Doch nun war die geheimnisvolle Stimme wieder da. Die Finngul schrie dünn und fistelig, wobei sie sich mit beiden Händen die Ohren zuhielt. Sinnlos, denn die Stimme sprach in ihrem
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