Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
seinem Blick, an den Augäpfeln, die niemals still standen. Und dann stieß er sie vor sich her, quer durch einen kleinen Raum bis zu einer Tür. Er flüsterte etwas neben ihrem Ohr, aber sie verstand ihn nicht. Stattdessen hörte sie durch das dünne Holz der Scheunenwände die Grillen zirpen. Seine Stimme klang ehrfürchtig, wie in einer Kirche, als er die Tür aufstieß und sie in den großen Raum schob. Und dann erkannte sie, was das Böse in ihm war.
Zuerst sah sie nur Schatten, dunkle Gestalten auf einem Boden, der wie ein Schachbrett gemustert war. Dann hörte sie ein lautes Klacken, und Scheinwerfer flammten auf. Sie waren rot und gelb, nicht weiß. Sie warfen Licht und Schatten zwischen die Gestalten. Ioana blickte in gefrorenen Gesichter, die doch lebendig waren. Da stand ein Ritter mit einem Schwert vor einem Mann in einer Kutte. Die Klinge steckte bis zum Schaft in seinem Hals, und der Getötete röchelte im Schock. Ioana sah eine Frau auf einer Wiese, die sich bückte, mit einer kleinen Blume in der Hand. Sie war friedlich, unbeteiligt, unbehelligt von der Schlacht um sie herum. Und Ioana erkannte, dass es keine Puppen waren, die sie sah. Sie stolperte rückwärts gegen die Wand. Das Holz krachte unter ihrem Gewicht. Es waren Menschen. Leblos, gefangen in der einen Sekunde ihres Todes. Es waren Leichen.
»Die unsterbliche Partie«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Und du wirst ihre Königin.«
Ioana wurde schwarz vor Augen.
KAPITEL 80
München, Deutschland
Freitag, 2. August 2013, 5.54 Uhr
(am nächsten Morgen)
Das Telefon klingelte in einem Moment, in dem es nicht klingeln sollte. Lisa?, fragte sich Paul. War Lisa etwas passiert? Er wühlte sich durch sein Bettlaken und griff nach dem Handy auf seinem Nachttisch. Unbekannter Anrufer. Er hatte gestern Abend definitiv ein Bier zu viel getrunken für diese Uhrzeit.
»Ja!«, bellte er.
»Herr Regen, hier spricht Eddy Rames. Bitte kommen Sie ins Büro.«
»Was ist los?«, fragte er und setzte sich auf. Zwei Bier zu viel.
»Die NSA-Anfrage hat einen Treffer geliefert«, sagte er.
Potz Blitz, waren die schnell, dachte Paul Regen und hätte sich nicht einmal geärgert, wenn sie eine Stunde langsamer gewesen wären. Eine Dusche würde ihm diese leichtfertigen Gedanken schon austreiben, dachte er.
»Ich bin unterwegs«, sagte er und stolperte über den Gürtel seines Bademantels, als er vom Schlafzimmer in den Flur hetzte.
Er erreichte das Büro in der grünen Villa als Letzter. Selbst Adelheid Auch war schneller gewesen, und alle standen hinter dem Computer von Eddy Rames und starrten in den Bildschirm.
»Was ist los?«, fragte Paul.
»Waren Sie noch auf dem Markt frühstücken?«, fragte Solveigh.
»Sehr witzig«, sagte Paul Regen. »Als ob der jetzt schon offen hätte. Also, was gibt es?«
»Hören Sie einfach zu«, sagte Solveigh Lang.
Eddy drückte eine Taste auf seinem Computer, und kurze Zeit später ertönte der Mitschnitt eines Telefonats.
»Pronto«, sagte eine dunkle Stimme.
»Sono io«, sagte der Anrufer.
»Das ist ja Italienisch!«, protestierte Paul.
Solveigh winkte ihn zu sich heran: »Auf dem Monitor gibt es Untertitel.«
Paul Regen folgte dem leuchtenden Schriftzug. »Ich hätte jemand für die kleine Dunkelhaarige aus der vierundvierzig«, fuhr der Anrufer fort.
»Wie viel?«
»Fünfundzwanzigtausend.«
Paul nutzte die kurze Gesprächspause, um auf Eddys zweitem Monitor nachzulesen, wer das Telefonat geführt hatte. Offenbar hatte eine der beiden Nummern auf der Beobachtungsliste der NSA gestanden, weswegen das Gespräch mitgeschnitten wurde.
»Zu wenig!«, sagte er. »Nimm die Blonde. Die ist eh zu dürr.«
»Geht nicht. Er besteht darauf, dass die Kleine irgendwann einmal eine Königin gewesen sein muss. Bei irgendeinem Scheißschönheitswettbewerb oder so was in der Art.«
»Und das war die Dunkle?«
»Ja, den zweiten Platz bei einem Dorffest irgendwo da, wo die herkommen. Hat mir jedenfalls der Bulgare gesagt. Ist ja auch scheißegal.«
»Eben. Ist doch scheißegal. Nimm die Blonde.«
»Hey, der hat letztes Mal schon so einen riesigen Aufstand gemacht, ich glaube, der Typ hat irgendwie ’ne Meise. Lass uns das durchziehen, okay?«
Sein Gesprächspartner schien darüber nachdenken zu müssen. Paul Regen ging es nicht anders.
»Okay.«
»Okay. Danke. Bis dann.«
»Wie sind Sie da rangekommen?«, fragte Paul.
»Wir haben nichts weiter gemacht als die NSA-Datenbestände nach Schachbegriffen abzusuchen«, gab
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