Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
sich ihnen jemand genähert hatte. Solveigh blickte ausdruckslos an ihm vorbei.
»ELMSFEUER«, raunte der Mann in der Jeansjacke.
»Gib ihm den Umschlag, Solveigh. Und wirf das Handy weg, das du verwendet hast«, verlangte Will Thater.
Solveigh starrte konsterniert auf das Gerät in ihrer Hand. Sie hatte keine zehn Minuten telefoniert. Es war fast unmöglich, dass jemand in dieser Zeit … Es sei denn, er hatte sie beschattet. Bei dem Gedanken, dass er auch für die Gegenseite hätte arbeiten können, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Amsterdam war nicht mehr sicher, sie würde besser aufpassen müssen, wenn sie und Eddy überleben wollten. Sie drückte dem Mann den Umschlag in die Hand und sah ihm hinterher, wie er in einem Supermarkt verschwand. Vertraue niemandem, wenn er nicht zu ELMSFEUER gehört, erinnerte sich Solveigh und nahm die Batterie aus dem Handy. Sie brach die SIM-Karte in der Mitte auseinander und ließ sie in ihre halb volle Kaffeetasse fallen. Sie brauchten eine sichere Operationsbasis. Und zwar so schnell wie möglich.
KAPITEL 11
München, Deutschland
Samstag, 15. Juni 2013, 15.46 Uhr (am nächsten Tag)
Paul Regen verließ seine Wohnung in der Isarvorstadt, in der schon seine Eltern gelebt hatten, um Viertel vor vier. Der endlose Regen der letzten Wochen war einer Hitzewelle gewichen, die jeden Klimawandelskeptiker an den Haaren aus seiner industriefreundlichen Ecke zerren musste. Da er zu Hause zwar einen Computer, aber keinen Drucker besaß und Adelheid Auch das wohlverdiente Wochenende genoss, ließ er sich den Bericht des Rechtsmediziners bei einem Schilderdienstgeschäft ausdrucken, das mangels innenstädtischer Schildernachfrage auch einen Kopierservice betrieb. Mit mageren vier Seiten in der Jackentasche machte er sich auf den Weg zum Markt.
In der Müllerstraße stolperte ihm eine junge Frau in einer zerrissenen Strumpfhose vor die Füße. Ihr folgte ein Mann mit einem Hellen in der Hand und Schaumresten um den Mund. Paul Regen wich aus und grüßte unbekannterweise. Der Sunshine Pub machte seinem Namen stets alle Ehre. Geschlafen wurde dort anscheinend nicht, zumindest ließen die stark geröteten Untotenaugen darauf schließen, dass man den Rausch der Nacht hier standesgemäß ausklingen lassen konnte. Paul Regen hatte nichts dagegen, er hatte in den vergangenen Jahrzehnten noch jede bunte Kapriole seines Stadtviertels begrüßt. Einzig auf die Neubauten mit Concierge, Champagnerbar und Pool, die »Limonenhöfe« oder »The 99« hießen und deren Bewohner hinter der Tram herhupten, könnte er gut verzichten. Den schlimmsten diesbezüglichen Neuzugang, ein Bürohaus unter dem »The 99«, das vermutlich »The ugly little sister« hieß, passierte Paul Regen ohne Zwischenfälle. Aber welcher Unternehmensberater würde schon am Samstag mit blutunterlaufenen Augen aus seinem Büro stolpern, das tat er ja schon am Donnerstag beim Kunden. Paul Regen ging ausnehmend gerne spazieren, er hatte sogar gegenüber Adelheid Auch einmal behauptet, ein Spaziergang sei die beste Strategie für alles. Und Paul Regen glaubte daran. Ein gebrochenes Herz, rauchender Zorn, ein berufliches Problem, beispielsweise ein toter Arm, für die meisten guten Gedanken war ein Spaziergang der optimale Ausgangspunkt.
Mindestens an einem Tag in der Woche ging Paul Regen auf den Markt, meistens am Samstag, weil ihn die Projekte vom Wochinger auf Trab hielten, so ungern er sich auch mit EDV-Problemen auseinandersetzte. An einem Stand, der versprach, alles zu liefern, was schwimmt, erwarb er eine Räucherlachssemmel, denn Paul Regen war überzeugt, dass die Omega-3-Fettsäuren noch den kleinen Rest besorgten, den Spaziergänge nicht schafften. Außerdem war es selbst jetzt um kurz nach fünf noch gefühlte dreißig Grad warm, und Fisch war doch ohnehin gesünder, oder nicht? Außer natürlich Obst. Obst mochte Paul Regen zwar nicht, aber es war außer Konkurrenz, was die Gesundheit anging. Ergo erstand er gegenüber noch einige Aprikosen aus der Wachau und setzte sich dann mit seinem Computerausdruck auf die Auslage eines der Stände, die der TÜV im letzten Jahr wegen baulicher Mängel geschlossen hatte. Was ein Skandal war, aber gleichzeitig bedeutete, dass Paul Regen in Ruhe lesen konnte. In manchem galt er sich selbst als Opportunist. Er legte die Aprikosen zur Seite, biss in das Brötchen und schlug den Bericht auf. Beim großen Klecks Meerrettich in der Mitte hatte er begriffen, dass der Arm einem
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