Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
Tag)
Solveigh Lang starrte durch die Scheibe des gemieteten Ford auf das kleine Reihenhaus in einem Neubauviertel von Kelsterbach, ganz in der Nähe des Frankfurter Flughafens. Die Straße lag verschlafen in der Morgendämmerung, nur vereinzelt waren beleuchtete Fenster von Frühaufstehern auszumachen. Ein Blick auf die Wärmebildkamera verriet ihr, dass nur eine Person im Haus war. Sie klappte den Laptop zu.
»Haben sie Dekker endlich verhaftet?«, fragte Solveigh.
»Sie sind gerade dabei«, hörte sie Eddys Antwort über den Kopfhörer ihres Telefons. Geert-Jan Dekker war der Fensterputzer, der die Bombe in dem Drainageschacht neben Wills Büro platziert hatte. Er war ein kleiner Fisch, ein von Anfang an eingeplantes Bauernopfer. Aber es war wichtig, dass seine Verhaftung durch die Amsterdamer Polizei über die Bühne ging, bevor Solveigh in Aktion trat. Zu leicht könnte er gewarnt werden und für immer von der Bildfläche verschwinden. Der Mann, hinter dem Solveigh jetzt her war, gehörte zu den dickeren Fischen.
»Dann gehe ich jetzt rein«, kündigte Solveigh an und setzte die dickrandige Brille auf, in die eine Kamera und ein Mikrofon verbaut waren. Eddy würde in Amsterdam dafür sorgen, dass sein Computer alles aufzeichnete.
Solveigh stieg aus dem Wagen und lief über die gepflasterte Sackgasse zu dem Reihenhaus. Sie zückte einen elektrischen Dietrich und vernahm keine halbe Minute später zufrieden ein Klacken des Schlosses. Sie öffnete die Tür und schlich durch den kurzen Flur. Auf einer Bank standen kleine Gummistiefel neben Wanderschuhen. Vanderlist hatte einen achtjährigen Sohn und eine fünfjährige Tochter, die jedoch unter der Woche bei ihrer Mutter lebten. Es hätte ihren Einsatz wesentlich komplizierter gemacht, wenn Kinder im Haus gewesen wären, dachte Solveigh, als sie die schmale Treppe ins Obergeschoss hinaufschlich. Vermutlich waren die Scheidung und die Unterhaltszahlungen für seine Familie der Grund für die finanziellen Probleme des ehemaligen Sicherheitschefs der EuroBank. Er hatte seinen Job ein Jahr nach der spektakulären Erpressung verloren, deren Aufklärung die ECSB übernommen hatte. Er war einer der wenigen externen Besucher gewesen, die ihr Büro von innen gesehen hatten. Der Verräter war kein Maulwurf aus den eigenen Reihen. Als eine Frankfurter Vorwahl auf der Anrufliste von Michele Vizzone aufgetaucht war, hatten Solveighs Alarmglocken geläutet. Und tatsächlich war es Vanderlists Privatanschluss gewesen, den der Mafioso von seinem Prepaidhandy angerufen hatte. Eddy hatte die Anfrage beim amerikanischen NSA als Terrorermittlung ausgegeben, weil er wusste, dass sie unter diesem Stichwort alles liefern würden. Die Software gab es erst seit zwei Jahren, sie speicherte sämtliche Verbindungsdaten von E-Mails und Telefonen. Bis zu zwei Monate in die Vergangenheit wühlte sich das Programm durch die Privatsphäre, ausgehend von einer einzigen Telefonnummer. Michele Vizzone hatte eifrig kommuniziert, sein Prepaidhandy hatte sich als wahre Goldgrube für Eddy herausgestellt. Es war ein Glück, dass diese Tatsache auch in Verbrecherkreisen weitgehend unbekannt war. In wenigen Jahren würde vermutlich niemand mehr telefonieren, was die Geheimdienste auf den Stand der Achtzigerjahre zurückwerfen würde.
Die Morgendämmerung fiel durch die Lamellen der Rollläden auf das große Ehebett. Paul Vanderlists Brustkorb hob und senkte sich unter der Decke, sein Atem roch säuerlich nach Wein und Schnaps. Offenbar waren die Zahlungen an seine Exfrau nicht das einzige seiner Probleme. Solveigh konnte es nur recht sein, denn als ehemaliger Soldat war Vanderlist im nüchternen Zustand ein nicht zu unterschätzender Gegner. Solveigh begann, den Nachttisch zu durchsuchen. In der Schublade fanden sich Kondome, ein Hustenlöser und ein altes Handy inklusive Ladegerät, das sicherlich seit Jahren nicht mehr verwendet wurde. Solveigh war nicht hinter elektronischen Geräten her, sie suchte Hinweise, wo sich Vanderlist in den letzten Monaten aufgehalten hatte. Er hatte nur einmal mit Michele Vizzone telefoniert, weitere Verbindungen zur ’Ndrangheta schien es nicht zu geben. Und doch mussten sie existieren. Wenn nicht elektronisch, dann zumindest auf altmodischem Weg. In der zweiten Schublade des Nachttischs fand sie schließlich seine Pistole, eine Glock 38.
Fünfzehn Minuten später stand Solveigh vor einem Regal in seinem Arbeitszimmer und blätterte durch einen Ordner, der mit
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