Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
beendete ihren Satz: »… reicht uns jetzt Ihr Mobiltelefon vollkommen aus.«
Eddy steckte die SIM-Karte aus Vizzones Handy in ein Kartenlesegerät und startete ein Programm. Natürlich handelte es sich um eine Prepaidkarte, die niemals zu Michele Vizzone oder zu irgendjemand anderem geführt hätte, aber da Eddy eine Nummer hatte, mit der er anfangen konnte, erledigte den Rest ein kleines, aber effektives Rechercheinstrument, das die Amerikaner entwickelt hatten. Es würde in den Metadaten der Provider nach allen Verbindungen zu dieser Nummer suchen. Alle Telefonnummern oder E-Mails, die direkt mit diesem Telefon in Verbindung standen, würden ihrerseits durch das Programm identifiziert, sodass sie in einigen Stunden ein klares Bild davon gewinnen würden, mit wem Michele Vizzone in Kontakt gestanden hatte.
»Aber das ist …«, sagte Michele, als er erkannte, dass Eddy und Solveigh nicht übertrieben hatten.
»Illegal, meinen Sie?«, fragte Solveigh mit einem süffisanten Lächeln. »Das ist rechtlich nicht ganz klar. Aber haben Sie den Eindruck, dass mich die gerichtliche Verwertbarkeit unseres kleinen Gesprächs im Moment besonders interessiert?«
Michele starrte auf den Monitor des Laptops.
»Na also. Dann wäre jetzt möglicherweise ein geeigneter Zeitpunkt, um darüber zu reden, was für uns dabei herausspringt, wenn wir der Familie nicht stecken, dass Sie gesungen haben wie ein hungriges Möwenküken, als wir Sie in die Mangel genommen haben. Oder meinen Sie nicht?«
Michele Vizzones Zorn war nicht gespielt. Als er nach dem Glas griff, zitterte der Wasserspiegel. Das waren gute Voraussetzungen.
»Nennen Sie einen Namen«, sagte Michele Vizzone.
Die ’Ndrangheta war für ihre blutigen Fehden berühmt. Und der Ehrenkodex erlaubte nicht einmal, mit der Polizei zu reden. Einen Familiennamen preiszugeben wäre eine Todsünde. Eddy deutete auf den Monitor. Das Programm hatte mehrere Accounts gefunden, mit denen Michele besonders intensiv E-Mails ausgetauscht hatte. Bisher hatte das Programm nur die Betreffzeilen ausgewertet. Dafür schien die ’Ndrangheta eine Art unverfänglichen Code zu verwenden, sie lasen sich allesamt wie reguläre Geschäftskorrespondenz. Aber ein Familienname tauchte besonders häufig auf. Und es war kein unbekannter.
»Die Taccola-Familie«, raunte Solveigh. Die Krähen. Auf Michele wartete keine Bestattung, auf Michele wartete ein Massaker.
Der Italiener trank noch einen Schluck Wasser. Solveigh konnte es ihm nicht verdenken, dass sich seine Kehle trocken anfühlte angesichts dieses Namens. Von allen Familien galten die Krähen als die skrupellosesten. Und die am besten organisierten. Solveigh starrte abwechselnd vom Monitor zu Michele. Plötzlich bemerkte sie, dass der Italiener vor sich hin murmelte.
»Michele, haben Sie sich entschieden?«, fragte sie.
Dann bemerkte sie, dass sich Schaum um seinen Mund bildete. Seine Augen traten hervor, und sein Körper sackte nach vorne.
»Eddy!«, schrie Solveigh.
Sie trat den Stuhl mit Michele darauf nach hinten. Er krachte auf den Boden, und Micheles Rücken knackte, als er aufschlug. Eine angeknackste Rippe war sein kleinstes Problem, wenn Solveighs Vermutung stimmte. Sie riss ihn vom Stuhl und brachte ihn in eine stabile Seitenlage. Eddy kam mit dem Fahrstuhl herangerollt.
»Finde heraus, ob es hier irgendwo im Haus einen Defibrillator gibt«, sagte Solveigh und fühlte nach Micheles Puls.
»Komm schon!«, sagte Solveigh. Sie beugte sich über ihn und wollte ihn gerade auf den Rücken drehen, als sie den süßlichen Geruch bemerkte.
»Du kannst dir den Defibrillator schenken«, sagte Solveigh. »Unseren Zeugen haben wir gerade verloren.«
Ohne ein Wort rollte Eddy zurück an den Schreibtisch.
»So ein Mist!«, schrie Solveigh und gab dem Stuhl einen Tritt, dass er gegen den Bettkasten krachte.
KAPITEL 28
Iliciovca, Moldawien
Dienstag, 2. Juli 2013, 5.04 Uhr (am nächsten Morgen)
An diesem Morgen erwachte Lila mit Bauchschmerzen. Der Brief lag immer noch zwischen ihren Händen, als hätte sie sich im Schlaf daran festgehalten. Sie schlug die Augen auf und hörte die Vögel vor ihrem Fenster dieselben Lieder trällern, aber für Lila hatten sie einen neuen Klang. Sie würde diese Vögel niemals wieder hören, dachte Lila und fragte sich, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatten. Auf Zehenspitzen schlich sie am Schlafzimmer ihrer Großeltern vorbei und lauschte auf ihren gleichmäßigen Atem. Zum letzten Mal ließ
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