Argwohn: Thriller (Solveigh Lang-Reihe) (German Edition)
Hauptsächlich Osteuropa?«
»Die meisten Frauen werden tatsächlich in Osteuropa entführt. Allerdings hat sich in den letzten Jahren auch in Afrika ein organisierter Markt entwickelt. Die offiziellen Bordelle liegen auch vornehmlich in Osteuropa, wie das in Bukarest, das wir im Visier haben. Aber die besseren Mädchen kommen weiter nach Westen. Nach Paris oder nach Deutschland. Meist landen sie im Escortbereich, in dem sich bessere Preise erzielen lassen. Oder eben bei den Kunden mit Spezialwünschen.«
Solveigh drehte das Foto in der Hand.
»Und die Frauen?«
»Junge Mädchen zwischen sechzehn und zwanzig aus Ländern, die ihnen keine Zukunftsperspektive bieten. Sie werden mit Versprechungen in den Westen gelockt. Eine Arbeit als Kindermädchen, als Haushälterin, als Kassiererin. Wenn sie erst im Westen sind, wird ihnen irgendwann ein Schuldenberg präsentiert, den sie abarbeiten müssen. Fünfzigtausend Euro lassen sich nun einmal nicht mit Hausarbeit verdienen …«
»Sondern nur mit Prostitution«, schloss Solveigh.
Ugo Bonardi nickte.
»Und das Bordell in Bukarest?«, fragte Solveigh.
»Ein Durchlauferhitzer für neue Ware«, sagte der Staatsanwalt. »Hier lernen die Mädchen, sich zu fügen und das zu tun, was von ihnen verlangt wird. Rumänien ist immer noch ein korruptes Land, Signora Lang. Dort ist es nicht schwer, jemand zu bestechen, den Mund zu halten, wenn mal etwas schiefläuft.«
»Sie meinen wie hier in Italien?«
Ugo Bonardi wurde ernst: »Ich weiß nicht, was Sie für einen Eindruck gewonnen haben, aber wir kämpfen gegen die Mafia mit allen Mitteln, die wir haben!«
»Natürlich«, sagte Solveigh. »Aber trotzdem dulden Sie diese Verbrecher in Ihrem Land.«
»Uns sind die Hände gebunden, Signora. Wie ich schon sagte, die Taccolas sind Meister im Verschleiern. Wenn Sie die Taccolas durchsuchen, finden Sie nichts weiter als Restaurants, Import-Export-Betriebe und Speditionen, die brav ihre Steuern bezahlen.«
Wir werden sehen, dachte Solveigh. Kreativität, Improvisation und Täuschung. Wenn den Taccolas mit regulären Mitteln nicht das Handwerk zu legen war, würden sie sich eben etwas ausdenken müssen.
KAPITEL 37
Bukarest, Rumänien
Samstag, 6. Juli 2013, 12.00 Uhr (am nächsten Tag)
»Wie geht es euch?«, fragte Radu, als sie in seinen Calibra stiegen.
Lila und Ioana tauschten einen vielsagenden Blick aus.
»Keine Ahnung«, sagte Ioana. »Malo lässt uns in Ruhe, wir haben ein bequemes Bett. Vermutlich dürfen wir uns nicht beklagen.«
Wie Lila befürchtet hatte, war es nicht erwünscht, dass die Mädchen die Wohnung verließen, und sie beschlich das Gefühl, dass es eine Menge Ärger geben würde, wenn sie es versuchten. Wenn Malo sagte: »Essen gibt es hier genug, warum wollt ihr vor die Tür?« hatte er, praktisch gesehen, nicht ganz unrecht. Es lagen jede Menge Modemagazine herum, die Lila und Ioana schon vom Titelblatt der Agenturbroschüre kannten, in der Küche gab es sogar einen Fernseher, der allerdings meistens von Malo in Beschlag genommen wurde.
»Wann lernen wir endlich deine Chefin kennen?«, fragte Lila.
»Sie ist im Moment sehr beschäftigt«, wich Radu aus und bog rechts ab Richtung Zentrum. »Aber ich bin sicher, dass wir nächste Woche einen Termin mit ihr oder jemand anderem aus den oberen Etagen kriegen.«
Lila fragte sich zum wiederholten Male, wie die Rechnung aufgehen konnte: Wäre es nicht lukrativer, sie mit Aufträgen zu versorgen, als sie hier in einer Wohnung versauern zu lassen? Die ganze Situation warf immer mehr Fragen auf, und obwohl Radu auskunftsfreudiger war als Malo, blieb es doch bei Allgemeinplätzen.
Radu ordnete sich in die Schlange für das Parkhaus eines gigantischen Einkaufszentrums ein. Die Ausmaße waren so unglaublich, dass Lila beim Vorbeifahren daran zweifelte, ob man ein solch großes Gebäude mit Waren füllen konnte. Was musste es für unglaublich viele neue Artikel geben, dass es fast eine halbe Minute dauerte, mit dem Auto bei 30 Stundenkilometern ein einziges Kaufhaus entlangzufahren. Alleine diese eine Seite der Fassade musste über 200 Meter lang sein.
Radu stellte den Calibra auf der dritten Ebene des Parkhauses ab und hielt ihnen die Tür auf. Dann geleitete er sie zu einer Drehtür, hinter der die bunte Glitzerwelt des Konsums auf sie wartete.
»Wir sehen aus wie die zwei größten Dorftrottel der ganzen Stadt«, raunte Ioana Lila zu. Und sie hatte recht. Die Mädchen hier trugen hochhackige Schuhe,
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