Aries
Sonne gerade am Horizont angekommen und ich musste mich beeilen. Nach unten war es einfacher und machte mehr Spaß. Mein Vater hatte früher, als wir noch gemeinsam in den Wäldern herum gestreiften, erzählt, dass das die „blaue Stunde“ sei. Die Zeit, in der die Tiere des Waldes unterwegs und die Wahrscheinlichkeit, Rehe und Hirsche zu beobachten, am Größten war.
Als ich auf der Straße anlangte, drehte ich mich um und suchte den Waldrand ab. „Er sieht dich.“ - gingen mir Maries Worte durch den Kopf und lächelnd winkte ich dem Wald zu. Vor lauter Übermut wäre ich fast hingefallen. Der Schnee hatte sich an vielen Stellen verfestigt und Eisplatten gebildet. Mit Trippelschritten hüpfte ich darüber. In der untergehenden Sonne flackerten die Lichterketten der Brücke auf. Bis dorthin musste ich unbeschadet kommen, dann wurde es leichter. Zuversichtlich schritt ich voran und passierte die Mauern des Friedhofes. Jetzt war es nicht mehr weit. Ich lief über die Brücke und verspürte tiefe Erleichterung. Der Puma hatte meinen Adrenalinspiegel erheblich in Wallung gebracht.
Der restliche Weg war ein Klacks, und als ich in den Hof einbog, knurrte mein Magen. In der Küche traf ich niemanden an und auf dem Küchentisch lag ein Zettel, dass mein Essen im Backofen stand. Während sich meine Mahlzeit erwärmte, ging ich ins Bad und cremte meine roten Wangen ein. Ich sah wie neugeboren aus. Meine Augen leuchteten wie die eines Babys ... der Spaziergang hatte mir gut getan. Zufrieden stellte ich mein Mittagessen in Karls Gestell, setzte mich auf mein Bett. Während ich aß, dachte ich an den Puma.
Es war spannend und ich stellte mir vor, dass es Aries war. Ari ... Ich verglich die Löwen ... der Eine, den ich während der Klassenfahrt gesehen hatte und den heutigen. Damals war meine Angst zu groß, - ich konnte mich an keine Einzelheit erinnern. Nur die grünen Augen, die hatten beide gleich. Er war es, dachte ich glücklich. Nur der Hase, der passte nicht. Es kann ja sein, dass er wieder jagt. Vielleicht war er im Moment lieber Löwe, dann brauchte er was zu essen. So war die Natur und trotzdem tat mir das Häschen leid.
Während ich den nächsten Bissen aufgabelte, hörte ich im Flur Stimmen. Meine Familie kehrte zurück. Ich sah zur Tür hinaus. Dichtes Gedränge und Oma dirigierte alle in die Küche.
>> Wo warst du, Fränni? <<, fragte meine Mutter, als sie mich erblickte. >> Karl hat sich Sorgen gemacht. <<
>> Ich war spazieren. Zuerst auf dem Friedhof und bin noch ein kleines Stück weiter hoch, zum Aussichtspunkt. <<
>> Auf dem Friedhof waren wir auch und haben uns schon gedacht, dass du dort warst. Die Grabkerzen brannten. Wir haben Neue aufgestellt, damit sie zu Weihnachten brennen. <<, sagte Loni
>> Wollen wir zu Abend essen? <<, fragte Oma und ich zeigte grinsend auf meinen leeren Teller.
>> Wenn es euch recht ist, würde ich gern in meinem Zimmer bleiben. Ich kann aber auch hier sein, wenn ihr wollt. <<
>> Nein, brauchst du nicht. Aber morgen, denk dran, Karl bringt den Baum und wir wollen am Vormittag schmücken. <<
>> Klar, ich bin dabei. << Meine Mutter kam auf mich zu und küsste mich auf die Wange.
>> Wir haben Aries gesehen. <<, flüsterte sie mir ins Ohr.
>> Ari? <<
>> Er kam uns vom Friedhof entgegen. Er hat nach dir gefragt. << Und dann lauter. >> Er hat uns versichert, dass Silvester bei Großvater stattfindet und er und Gabriel die Strecke freibekommen. Ich frage mich nur, wie er jetzt durchgekommen ist? <<
Oma unterbrach meine Mutter.
>> Fränni, wenn du dich nicht fühlst, kannst du Silvester auch hierbleiben. <<
>> Mal sehen. <<, sagte ich kleinlaut.
>> Och Fränni, es wäre schön, wenn wir alle zusammen feiern könnten. Du weißt nicht, wann es das nächste Mal sein wird. Wir sind dann im Ausland und wissen nicht, ob wir nächstes Jahr hier sein können. Bitte. << Meine Mutter sah mich flehend an. Klasse, - dachte ich. Damit machte sie es mir unmöglich, Silvester, fernzubleiben. Ich nickte stumm. >> Morgen ist erst mal Weihnachten ... das wollen wir richtig feiern und alles andere findet sich. <<, sagte sie versöhnlich.
Toll. Wie soll ich jetzt hierbleiben ... unmöglich. Und das Schlimme, sie hatte Recht. Ich wusste wirklich nicht, wann ich sie wiedersehe. Ich schaute auf meinen Wecker. Neun Uhr. Ich konnte ins Bett gehen. Aus meinem CD-Player dudelte leise Musik und ich träumte von Aries.
Er war es. Was sollte er sonst auf dem Friedhof wollen ... seine Vorfahren lagen da nicht
Weitere Kostenlose Bücher