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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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Traditionalisten die essenzielle vertikale Einheit der primären Usia nicht befriedigend erklären können. Warum Mensch (im Bereich der vertikalen Einheit) z. B. für die formbestimmte Materie des Menschen (Blut, Knochen etc.) essenziell, dagegen etwa Fähigkeit zum Lachen akzidentell sein soll, muss unklar bleiben. Die Anti-Traditionalisten versuchen daher das Kriterium für horizontale Einheit zu lockern, um den Begriff der vertikalen Einheit in schärfster Form bewahren zu können. Sie gehen dabei u.a. von aristotelischen Aussagen aus, denen zufolge nicht jede Materie für ein Y-Ding (Y sei eine Spezies oder Form) potenziell Y ist, sondern nur die »nächste« Materie (nicht Erde z. B., sondern Bronze, die u. a. auch aus Erde besteht, ist Materie für die Statue, ist also potenziell, was die bronzene Statue aktuell ist), und dass bestimmte Materie-Arten von der essenziellen Form bestimmt sind. Die schwächste Form dieser Bestimmung ist, dass Materie-Arten hypothetisch notwendig sind für die Realisierung einer essenziellen Form. Aber die essenzielle Form kann auch so [78] restriktive Bedingungen für ihre materiellen Realisierer enthalten, dass nur eine bestimmte Materie-Art für ihre Realisierung infrage kommt.
    Die Anti-Traditionalisten unterscheiden daher auch verschiedene Arten von Materie, wenn es um die Form-Materie-Analyse bei Aristoteles geht: (i) die
präexistierende Materie
, also das formbestimmte Ursprungsmaterial, das dann durch eine substanzielle Form geprägt wird, z. B. das Material, aus dem eine Säge gemacht wird; (ii) die
generische Materie
, also die tieferen Materie-Arten, aus denen die präexistierende Materie ihrerseits geformt wurde (z. B. Erde und Feuer, die beim Härten des Eisens für die Säge eine Rolle spielen); (iii) die
funktionale Materie
, d. h. die Materie, die durch die substanzielle Form eines Ganzen formgeprägt ist (z. B. die Hand eines Menschen, die als Teil des Menschen zu seiner Materie gehört, die aber nicht eine Hand bleibt, wenn der Mensch gestorben ist, die ihre materielle Form als Hand mithin nur hat, wenn sie im Gesamtsystem des lebenden Menschen eine bestimmte Funktion erfüllt).
    Diese Unterscheidung ist durch folgende Überlegung motiviert: Die Annahme einer im substanziellen Wechsel persistierenden Materie stellt insofern ein Problem dar, als ihr
aktuelles
Bestehen die vertikale Einheit des Objekts gefährden würde. Daher behauptet Aristoteles, dass bei der Entstehung eines höherkomplexen Kompositums die persistierende Materie aktuell zerstört wird, aber potenziell überlebt. Die präexistierende Materie ist nicht mehr aktuell in dem Produkt enthalten, das aus ihr entstanden ist – sie ist eine chemische Lösung. Beispielsweise ist Holz ein geeignetes Material für eine Kiste und insofern potenziell eine Kiste, während es aktuell Holz ist. Die Kiste hat neue Eigenschaften und ist deshalb nicht »Holz«, sondern »hölzern«. Es überleben also nur
Eigenschaften
der präexistierenden Materie. Was bedeutet «potenzielles Überleben« genauer? Zum einen heißt es gerade, dass von der präexistierenden Materie nur ein Bündel von Materie-Eigenschaften im höheren Produkt überlebt. Zum anderen [79] bedeutet es, dass diese Eigenschaften, die den höheren Körper nur modifizieren, nach der Zerstörung dieses Körpers ein einfacheres Material vollständig identifizieren. Wenn das Produkt zerstört wird, kann die präexistierende Materie, die potenziell in ihm enthalten war, wieder aktuell existieren.
    Die Anti-Traditionalisten können dann sagen: Die formbestimmte präexistierende Materie bleibt im Falle ihrer Verbindung mit einer essenziellen Form nicht als unabhängig formbestimmte Materie erhalten, sondern wird mitbestimmt durch die essenzielle Form. Eisen als Materie der Säge hat eine andere Formbestimmtheit als »bloßes« Eisen, es muss vielleicht eine spezifische Härte und gezackte Form haben; das gilt erst recht für Organe von Lebewesen, die als funktionierende Teile der Lebewesen spezifische Eigenschaften haben müssen, damit sie gut funktionieren. Die horizontale Einheit ist also weniger durch unabhängig formbestimmte Materie gewährleistet als vielmehr durch ein Bündel von Materie-Eigenschaften, die die Materie als Realisierer einer bestimmten essenziellen Form spezifisch haben muss (es kommt dann nicht auf die Persistenz einzelner Materieteile an, um horizontale Einheit zu sichern, wie etwa die horizontale Einheit des Schiffes von Theseus

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