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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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gewährleistet bleibt, auch wenn es ständig repariert wird). Diese Materie-Eigenschaften können wir artspezifische Materie-Eigenschaften nennen.
    Die aristotelische Formel für vertikale Einheit war: Wenn die Materie X potenziell das ist, was ein aus X bestehendes Y-Ding aktuell ist, dann ist X in gewisser Weise mit Y identisch. Die Anti-Traditionalisten verstehen diese Formel so: Die Form X dieser Materie ist eine Eigenschaft der generischen Materie des Y-Dinges. Wenn wir beispielsweise über Blut reden, geht es um die Eigenschaften von Erde und Wasser als letzten Bestandteilen von Blut. Aber die funktionale Form dieser Materie ergibt sich erst aus ihrem Beitrag zur Erhaltung des Dinges, dessen Teil sie ist. Im paradigmatischen Fall der Lebewesen ergibt sich z. B. die funktionale Form von Blut erst aus dem Beitrag, den Blut zur Erhaltung eines lebenden Organismus, [80] dessen Bestandteil das Blut ist, liefert. Und dieser Beitrag ist notwendig: Ohne Blut könnte der Organismus nicht leben. Die funktionale Form des Blutes ist daher notwendiger Bestandteil der Form des Organismus im Ganzen, die seine Lebendigkeit gewährleistet – also seiner Seele. Darum ist die Verbindung zwischen Blut in seiner funktionalen Form und der Seele des Organismus (und damit dem Organismus selbst) notwendig oder essenziell. Das ist, in Grundzügen, die Erklärung der vertikalen Einheit der konkreten primären Usia. Eine Kontingenz der Materie-Form-Verbindung im abgeschwächten Sinne bleibt insofern erhalten, als eine präexistierende Materie nicht notwendigerweise eine bestimmte essenzielle Form, etwa die Form einer Säge oder die Seele eines Organismus, annehmen muss.
    Wenn wir diese komplexen und komplizierten Überlegungen der reifen aristotelischen Metaphysik auf eine kurze Formel bringen wollten, könnten wir sagen: Das TEE ist die (relationale) Usia der Spezies und daher identisch mit der Spezies; und die Spezies ist essenziell verbunden mit ihrer funktionalen Materie. Das Kompositum aus Spezies und funktionaler Materie – wie Sokrates, der Mensch, oder Oskar, der Elefant – weist demnach vertikale und horizontale Einheit auf und ist somit primäre (einstellige) Usia. Jedoch ist es letztlich das TEE, das das essenzielle Form-Materie-Kompositum zur primären einstelligen Usia »macht«. Und das TEE ist zugleich der vorzüglichste Gegenstand der wissenschaftlichen Erkenntnis, denn es enthält gerade die Menge derjenigen Eigenschaften einer primären einstelligen Usia, die es gestatten, andere Eigenschaften der Usia deduktiv zu erklären. All dies gilt für den paradigmatischen Fall lebender Organismen, deren Seele eindeutig in der funktionalen Materie realisiert ist und die daher die höchste Form vertikaler Einheit aufweisen. Im Falle von Artefakten und nicht lebenden natürlichen Dingen ist das TEE mehr oder weniger multipel in formbestimmter Materie realisierbar – hier handelt es sich um primäre einstellige Usia mit einer vertikalen Einheit geringeren Grades.
    [81] Wir können jetzt besser verstehen, warum nicht nur der Mensch ein Lebewesen Ist, sondern auch Sokrates ein Mensch Ist. Dass Sokrates ein Mensch Ist, liegt im Wesentlichen daran, dass die substanzielle Form seiner Materie ein notwendiger Bestandteil seiner Seele ist. Wie aber lässt sich die rationale Theologie mit ihrer Lehre vom unbewegten Beweger in dieses Bild integrieren? Der unbewegte Beweger ist ja reine Aktualität und kein Form-Materie-Kompositum. Aber er ist doch zumindest mit der Selbstbewegung des gesamten Kosmos verbunden. Aristoteles beschreibt den selbstbewegten Kosmos als funktional und gut strukturiert, scheint ihm also eine funktionale Form im Ganzen zuzuschreiben. Es liegt nahe anzunehmen, dass die funktionale Form des Kosmos insgesamt notwendig oder essenziell mit dem unbewegten Beweger verbunden ist: der Aristotelische Gott ist die Seele des Kosmos im Ganzen.

[82]
Ethik
    In der vorherrschenden modernen Ethik geht es primär darum, wir wir unsere eigenen Interessen mit den Interessen unserer Mitmenschen auf faire und gerechte Weise vermitteln können und warum wir uns diesem moralischen Imperativ überhaupt unterwerfen sollten. Die klassischen griechischen Moralisten, zu denen auch Platon und Aristoteles zählen, versuchten vor allem zu klären, auf welche Weise wir in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse ein möglichst reiches und glückliches Leben führen können. Die griechischen Moralisten halten es für ein unbezweifelbares

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