Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
immer mit einer Pluralität von Prinzipien, die er jeweils dann anwendet, wenn es thematisch geboten ist.
Trotz der physikalischen Qualitätslosigkeit des Ätherraums erscheint die Äthersphäre durchaus gegliedert. Die Bestimmungen des Aristoteles muss man – auch auf dem Hintergrund der Theorien seiner Zeitgenossen – eigenartig, ja eigenwillig nennen. Aristoteles schreibt der Äthersphäre ein Oben und Unten, Rechts und Links, Vorn und Hinten zu, jeweils aus dem Blickwinkel des Menschen gesehen ( De caelo II 2). Das Universum bildet eine in zwei Pole eingespannte Kugel, und Aristoteles stellt sich vor, dass sich der Mensch auf der linken Seite der unteren Halbkugel (also dem Südpol näher als dem Nordpol) befindet. Die Kreisbewegung der Gestirne verläuft nach rechts, also im Uhrzeigersinn ( De caelo II 2, 285 b 20), und das ist nach allgemein griechischer Auffassung die «ehrwürdigere Richtung» ( De caelo II 5, 288 a 11), wobei die Rotation des Himmels in gleichmäßiger Geschwindigkeit erfolgt. Da die Kreisbewegung des Himmels ewig ist, hat sie natürlich auch keinen Anfang. Gleichwohl sieht Aristoteles hypothetisch einen Anfangspunkt der Bewegung vor, «von dem sie angefangen hätte, wenn sie überhaupt einmal angefangen hätte, und von wo die Bewegung wieder begönne, wenn sie aufhörte» ( De caelo II 2, 285 b 7f.). Das ist dort «wo die Gestirne aufgehen» (II 2, 285 b 18).
Während die Himmelsschale mit den Fixsternen diese gleichmäßige Rotation rechts herum vollzieht, führen die Planeten mehrere verschiedenartige ekliptische Bewegungen aus, teils mit, teils gegen die Bewegungsrichtung der Fixsternsphäre ( De caelo II 12, 293 a 1). Die Sterne selbst haben allerdings keine Eigenbewegung. Sie sind vielmehr an Hochkugeln befestigt, in Kugelschalen eingebettet, durch die sie bewegt werden, und zwar so, dass die Sterne knaufartig über die sich bewegende Kugelschale herausragen ( De caelo II 3–12). Höchst seltsam und wohl auch singulär ist die Auffassung des Aristoteles, dass wir die Sterne selber gar nicht sehen, sondern nur ein Leuchten und Glühen, das durch Reibungshitze infolge der raschen Bewegung der Sternsphäre entsteht. Die Luft wird an der Stelle, wo sie den Stern berührt, durch Reibung zum Glühen und Leuchten gebracht, ohne dass der Stern selbst hell ist oder wird.[ 3 ] Mit dieser eigenartigen Konstruktion wollte Aristoteles der sonst üblichen Auffassung von der feurigen Substanz der Gestirne entgehen, weil das Feuer als eines der vier Elemente nur in der sublunaren Sphäre seinen Platz hat. Und in der Tat lässt er die Gestirne aus Äther bestehen, aus dem gleichen Stoff also, aus dem die ganze translunare Sphäre besteht, wobei die Abgrenzung eines Sternes von seiner Umgebung unklar bleibt. Ganz inkonsequent und unerklärt bleibt aber die Annahme, Luft werde durch Reibung mit dem Gestirn erhitzt und zum Glühen gebracht, denn Luft, die in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnt wird ( De caelo II 7, 289 a 20; 29f.), hat ja als eines der Elemente in der translunaren Schicht ebenso wenig zu suchen wie das Feuer. Hier liegt jedenfalls eine Inkonsequenz im System vor.
Diese Inkonsequenz wird dadurch gemildert, dass Aristoteles die Äthersphäre insgesamt nicht so homogen sein lässt, wie nach der prinzipiellen Einteilung zwischen einer sublunaren und translunaren Sphäre zu erwarten wäre. Offenbar gibt es gewisse Durchlässigkeiten oder zumindest einen Sog von der sublunaren Sphäre auf die unteren Schichten der translunaren Sphäre. Diese erscheint entsprechend gegliedert. Der «erste Himmel» kann als ontologisch höchstrangige Instanz unter den wahrnehmbaren Körpern mit einer einzigen vollkommenen Kreisbewegung viele Sterne zugleich in Bewegung setzen, während mit abnehmender Entfernung die Zahl der Bewegungen größer und die Umlaufbahnen ekliptischer werden. Durch diese Abstufungen in eher gleitenden Übergängen vermeidet Aristoteles einen strikten Chorismos, eine Trennung in zwei Welten. Mit dem Begriff der Bewegung kann er unbeschadet der Scheidung zwischen der sublunaren und der translunaren Sphäre die gesamte wahrnehmbare Welt als zusammengehörig, als Einheit der Natur, auffassen. Denn die zunehmende Unregelmäßigkeit und Unvollkommenheit – von Oben nach Unten betrachtet – schon im unteren Bereich der Äthersphäre setzt sich in der sublunaren Sphäre durch Uneinheitlichkeit und Unregelmäßigkeit der Bewegungen fort, bis schließlich der Erde infolge ihrer
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