Arkadien 02 - Arkadien brennt
man ein wenig mehr erwarten als frischen Orangensaft zum Frühstück.«
Sie trat an ihm vorbei zur Tür und schob den Riegel der Luke beiseite. Bevor sie das Sichtfenster öffnete, wandte sie sich noch einmal an den Avvocato. »War es das, was Sie mit weiterem Material gemeint haben?«
»Sie werden sehen: Ich habe Ihnen nicht zu viel versprochen.«
Mit einem Ruck öffnete sie den Schieber.
Das Innere der Zelle war mit glänzender, Feuchtigkeit abweisender Farbe gestrichen, im ungesunden Grün chirurgischer Kittel. Auf einem Betonpodest lagen eine Matratze, eine zerknüllte Decke und ein Kissen mit Blutspuren.
Davor am Boden saß, mit angezogenen Knien und leerem Blick, eine abgemagerte Gestalt in zerrissener Jeans und bedrucktem T-Shirt; das Bandlogo darauf war vor Schmutz kaum noch zu erkennen. Valeries dunkles Haar war kurz und wirr. Wahrscheinlich hatte sie es selbst geschnitten. Ihr Gesicht wirkte ausgezehrt, die dunklen Ringe unter den Augen wie mit Fingerfarbe gezogen. Sie hatte sich wieder und wieder die Lippen aufgebissen, daher stammte wohl das Blut auf dem Kissen.
Ohne sich umzudrehen, fragte Rosa: »Sie haben sie nicht gefoltert, oder?«
»Ihr wurden Fragen gestellt. Aber davon hat sie keine körperlichen Blessuren davongetragen. Sie war schon vorher ein Wrack.«
Valeries Arme waren mit Tätowierungen bedeckt, alle aus den vergangenen sechzehn Monaten. Sie war schon damals gepierct gewesen, aber jetzt trug sie in jedem Ohr mehrere Ringe und ein halbes Dutzend silberne Stecker an den Augenbrauen, der Nase und am Kinn. Was immer sie mit ihren blutunterlaufenen Augen gerade sah, befand sich nicht in dieser Zelle.
»Drogen?«
»Beruhigungsmittel. Sie hat Einstiche an den Armen, zwischen den Zehen und unter der Zunge, aber die stammen nicht von uns. Als meine Leute sie gefunden haben, war sie vollgepumpt mit Chemie. Ich weiß nicht, was Ihre Freundin durchgemacht hat, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie viel davon mitbekommen hat. Nicht in letzter Zeit.«
Valerie musste die Stimmen vor der Zellentür hören, aber sie zeigte keine Reaktion.
»Valerie?« Rosa stellte sich auf die Zehenspitzen, damit ihr Gesicht die Luke ausfüllte. »Ich bin’s. Rosa.«
Nicht mal ein Zucken.
Rosa trat einen Schritt zurück und betrachtete das Türschloss. »Machen Sie das auf.«
»Sind Sie sicher?«
»Verdammt, nun machen Sie gefälligst die Tür auf!«
Der Avvocato zog einen Sicherheitsschlüssel hervor und reichte ihn ihr. »Bitte.«
Sie schob ihn ins Schloss, aber bevor sie ihn umdrehte, sagte Trevini: »Nur über eines sollten Sie sich im Klaren sein.«
»Was?«
»Alles Weitere liegt allein bei Ihnen. Sie ist jetzt Ihre Gefangene, nicht mehr meine.«
Wieder wandte sie sich der Tür zu, atmete tief durch. Der Geruch von Waschmittel trieb durch den Hotelkeller, in der Ferne wummerten die Maschinen. In den Rohren unter der Korridordecke gluckste es.
»Entscheiden Sie«, sagte Trevini. »Darüber, was mit ihr geschehen soll. Möchten Sie ihr weitere Fragen stellen? Sie laufenlassen? Das Problem vollends aus der Welt schaffen?«
Sie konnte ihn nicht ansehen. Sie hasste ihn von ganzem Herzen, und noch viel mehr verabscheute sie die Tatsache, dass er die Wahrheit sagte. Jetzt, da sie die Gefangene im Hotelkeller mit eigenen Augen gesehen hatte, konnte sie nicht so tun, als wüsste sie nicht von ihr. Trevini stand auf ihrer Gehaltsliste, der Alcantara-Clan finanzierte seine Assistentin und die Männer, die Valerie gefangen und ihr Fragen gestellt hatten. Rosa kam die Galle hoch.
»Sie verstehen doch, was ich Ihnen sage.« Trevini legte den Finger in die Wunde und bohrte. »Wenn Sie das Mädchen da drinnen loswerden wollen, dann wird das geschehen. Niemand wird davon erfahren. Sie hat Ihnen übel mitgespielt. Wer könnte Ihnen da nachtragen, dass Sie einen gewissen Groll gegen sie hegen?«
Sie drehte sich jetzt halb zu Trevini um, zog mit der anderen Hand die Sichtluke zu und fragte: »Was hat sie Ihnen erzählt?«
»Es freut mich, dass ich doch noch Ihre Neugier wecken konnte.«
Sie war hergekommen, um ihm einen Vorschlag zu unterbreiten. Jetzt war sie froh, dass sie ihn noch nicht darauf angesprochen hatte. Siedend heiß wurde ihr bewusst, dass es in ihrer Macht stand, auch ihn ein für alle Mal verschwinden zu lassen. Er wusste das. Und dennoch spielte er mit ihr. Weilsie aufeinander angewiesen waren. Ohne ihn, ohne sein Wissen über drei Jahrzehnte Alcantara-Geschäfte, würde sie im Tauziehen
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