Arkadien 02 - Arkadien brennt
um die Clanführung niemals bestehen. Und ohne Rosa war er nur ein einfacher Rechtsanwalt, den die nachrückenden capodecini nur zu gern durch eine moderne Kanzlei in Palermo ersetzen würden.
Aber wollte sie wirklich eine Position, in der sie Entscheidungen wie diese hier treffen musste? Über Leben und Tod eines drogensüchtigen Mädchens?
»Sie haben Mitleid mit ihr«, stellte Trevini fest. »Das sollten Sie nicht. Michele Carnevare hat ihr befohlen, Sie zu dieser Feier zu bringen. Und sie hat ihm gehorcht. Das ist der Kern der ganzen Sache. Sie hat sich erst Ihre Freundschaft erschlichen, Rosa, um sie dann wie ein Lamm zur Schlachtbank zu führen.«
»Vielleicht wusste sie nicht, was Michele vorhatte.« Sie konnte selbst nicht fassen, dass dieses hauchdünne Argument für Valeries Unschuld ausgerechnet von ihr kam.
»Schon möglich.« Trevini rollte noch ein Stück näher heran, bis die Fußstützen seines Rollstuhls beinahe ihre Schienbeine berührten. »Vielleicht hat sie wirklich nichts gewusst. Aber macht es das besser? Ist Nichtwissen nicht die älteste und abgedroschenste Entschuldigung?«
Mattia hatte gesagt, dass Valerie nach Europa geflogen war, um Rosa um Verzeihung zu bitten. Sie hatte ihm versprochen, Valerie etwas auszurichten, wenn sie ihr begegnete. Im Gegenzug hatte er Rosas Leben gerettet. Und nun sollte sie Valeries Todesurteil aussprechen?
Sie drehte den Schlüssel und schob die Tür nach innen.
Trevini lachte leise. Oder war es nur das Gluckern der Leitungsrohre?
»Valerie.« Sie blieb in der Mitte der Zelle stehen, zwei Meter vor der verhärmten Gestalt am Boden. Valeries Blick gingdurch sie hindurch. Rosa widerstand dem Drang, hinter sich an die Wand zu schauen.
»Valerie, kannst du mich hören?«
Keine Regung.
Rosa machte noch einen Schritt und ging in die Hocke. Ihre Gesichter befanden sich jetzt auf einer Höhe. Während des vergangenen Jahres hatte sie ihrer Freundschaft nicht nachgetrauert, und heute tat sie es erst recht nicht. Stattdessen waren da Vorwürfe. Zorn. Wie praktisch wäre es gewesen, nur auf Leere zu stoßen. Doch in ihr brodelte die Wut.
Zögernd sah sie über die Schulter, folgte doch noch Valeries Blick.
Nur die kahle Wand.
»Allein Ihre Entscheidung«, glaubte sie Trevini sagen zu hören. Oder eine Stimme aus ihrer Erinnerung?
Ein Blutstropfen lief über Valeries Kinn. Sie hatte die Lippe zwischen die Zähne gezogen und wieder zugebissen. Ihre Augen aber blieben so starr wie zuvor.
Warum spürte Rosa kein Mitleid? War dies das Erbe, das sie hier auf Sizilien angetreten hatte? Dieselbe Kaltblütigkeit wie ihre Großmutter und nach ihr Florinda?
Sie stand auf und verließ die Zelle, zu schnell, zu offenkundig auf der Flucht. Trevini musste das registrieren, und als sie sich zwang, ihn wieder anzusehen, war sein Lächeln das eines verständnisvollen Lehrers.
»Ich kann es Ihnen beibringen«, sagte er. »Alles, was erforderlich ist.«
Sie ließ die Tür offen und warf ihm den Schlüssel in den Schoß. »Behalten Sie sie vorerst hier. Ihretwegen habe ich ein Jahr in der Hölle verbracht, da wird es für Val auf ein paar Tage nicht ankommen.«
»Und was dann, wenn ich fragen darf? Was wird später mit ihr geschehen, in einer Woche oder in einem Monat?« Er wogden Schlüssel in der Hand, als wäre er viel schwerer als zuvor. »Sie könnten ihr die Freiheit schenken. Sie könnten gnädig sein und großzügig. Was sagt Ihr Gewissen, Rosa Alcantara? Was sagt Ihnen Ihr Blut?«
Sie ließ ihn zurück und ging hastig den Gang hinab in Richtung des Aufzugs.
Er rief ihr hinterher: »Sie haben mich vorhin gefragt, was Costanza getan hätte.«
»Ich bin nicht meine Großmutter.«
»Aber Sie werden lernen müssen, wie sie zu sein. Sie wollen ein Leben hier auf der Insel? Sie wollen den jungen Carnevare? Dann müssen sie härter sein als die anderen, grausamer als ihre Feinde. Costanza hat das gewusst. Und auch Sie werden das bald erkennen.«
»Auf der Terrasse!«, rief sie über die Schulter. »Wir reden dort weiter.« Nicht hier unten. Nicht im Dunkeln.
Aber die Dunkelheit folgte ihr ans Tageslicht.
Ein Pakt
R osa sog die frische Luft ein wie eine Süchtige. Eine kühle Brise vom Meer wehte ihr ins Gesicht, trotzdem wurde sie den Geruch der Hotelkeller nicht wieder los.
Sie schloss die Augen, aber die Sonne brannte sich hellrot durch ihre Lider. Sie zwang sich, keine Schwäche zu zeigen, blickte wieder nach vorn und ärgerte sich, dass die Contessa di Santis
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