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Arkadien 02 - Arkadien brennt

Titel: Arkadien 02 - Arkadien brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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über dem Meer, ihre Strahlen funkelten auf den erstarrten Rotorblättern des Helikopters. Er stand mit abkühlenden Motoren auf dem Landeplatz unterhalb des Hotels. Der Pilot saß in der Kanzel und blätterte in der Gazzetta dello Sport .
    Rosa stand eine Etage höher auf der Terrasse des Grandhotels Jonio , hatte die Hände auf das schmiedeeiserne Geländer gelegt und blickte die steile Küste hinab auf das graublaue Wasser. Tief unter ihr, auf einem schmalen Streifen zwischen den Felsen und der schäumenden Brandung, verliefen Eisenbahnschienen. Ein kleiner Bahnhof mit roten Dächern hob sich vom tristen Gestein ab. Der alte Stadtkern von Taormina lag linker Hand des Hotels auf dem Felsplateau, zweihundert Meter über dem Meer und den Gleisen.
    Rosa trug einen halblangen schwarzen Ledermantel, schwarze Stiefel und ein enges Kleid von Trussardi. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden in der Hoffnung, dass sie das strenger und älter erscheinen ließ. Wenn sie eines von Florinda gelernt hatte, dann war es, sich für geschäftliche Termine in Schale zu werfen. Sie wollte dem Avvocato Trevini auf den ersten Blick klarmachen, dass sie das Oberhaupt ihres Clans war, kein eingeschüchtertes Mädchen, das sich mit einem Video hatte locken lassen.
    In ihrem Rücken erklang das harte Klacken von Stilettos auf dem Marmor der Terrasse. Rosa wartete, bis das Geräusch unmittelbar hinter ihr verstummte, dann drehte sie sich um.
    »Der Avvocato wird gleich hier sein«, sagte die junge Frau, die zu ihr ins Freie getreten war. Contessa Cristina di Santis – Trevinis neue Assistentin, Vertraute, wer weiß was noch –stammte aus altem sizilianischen Adel, das hatte Rosas Sekretariat für sie in Erfahrung gebracht. Studium in Paris, London und Mailand, Promotion in Rekordzeit. Es gab keinen Mafiaclan Di Santis mehr, er war in den Achtzigerjahren von den Corleonesen nahezu ausgerottet worden; die letzten Nachkommen verfügten zwar über einigen Reichtum, unterhielten aber keine aktiven Kontakte zur Cosa Nostra.
    Mit einer Ausnahme: Cristina di Santis als Trevinis rechte Hand unterwarf sich den Regeln des Alcantara-Clans.
    Rosas Regeln.
    »Der Avvocato lässt ausrichten, dass er sich sehr über Ihren Besuch freut, Signorina Alcantara«, sagte die junge Anwältin förmlich. »Er bedauert zutiefst, dass es seine gesundheitliche Verfassung erforderlich macht, Sie einige Minuten warten zu lassen.«
    »Das macht nichts«, log Rosa. Diese Verspätung war nichts als Schikane. Trevini wartete seit Wochen auf einen Termin mit ihr. Und nun, da sie nach Taormina gekommen war, sollte es ihm nicht möglich sein, pünktlich zu erscheinen?
    »Wenn ich Ihnen eine Erfrischung –«
    »Danke.« Rosa wandte den Blick nicht von ihrem Gegenüber ab. Sie ließ bewusst offen, ob sie Ja oder Nein meinte, und sie beobachtete, wie Cristina di Santis mit der Ungewissheit umging.
    Die Contessa war einen halben Kopf größer als sie, schwarzhaarig, schlank, aber mit all den Rundungen, die Rosa fehlten. Ihre erhobene linke Augenbraue verlieh ihrem Blick etwas Taxierendes. Sie schien nur darauf zu warten, dass Rosa sie ernsthaft auf die Probe stellte; dann würde sie diesem dummen Ding, diesem amerikanischen Emporkömmling, vorführen, wie man hier in Europa mit Stil Verachtung zeigte.
    All das überraschte Rosa nicht. In gewisser Weise hatte sie Verständnis dafür. Was sie allerdings erstaunte, war Di Santis’Reaktion, als das leise Geräusch von Gummirädern auf Stein die Ankunft des Avvocato ankündigte.
    Auf das Gesicht der Contessa trat ein Ausdruck beflissener Höflichkeit. Wie ein Automat, ohne jede eigene Persönlichkeit, als wären auf einen Schlag alle ihre Emotionen ausgelöscht worden.
    Bemüht, ihre Irritation nicht zu zeigen, wandte Rosa sich dem alten Mann im Rollstuhl zu. Dies war ihre dritte Begegnung mit dem Anwalt der Alcantaras, der grauen Eminenz ihres Clans, und wieder dachte sie, dass er einem Schauspieler ähnelte, dessen Name ihr beim besten Willen nicht einfiel. Sie erinnerte sich an keinen Film, nur an das Gefühl, wie er überlebensgroß von einer Leinwand auf sie herabstarrte. Dabei hatte Trevini auf den ersten Blick nichts an sich, das irgendwen hätte einschüchtern können. Er war ein ausgezehrter Mann, der seit seiner Kindheit an einen Rollstuhl gefesselt war, noch dazu auf einem Auge blind. Einschüchterung und Bedrohung sahen in Mafiakreisen anders aus. Und doch war da etwas, das ihm folgte, ihn umgab,

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