Arkadien 02 - Arkadien brennt
murmelte sie enttäuscht.
»Vielleicht ist es nur zu unscharf.«
Auf einem Tisch lag das Fotoalbum, das sie vor seiner Ankunft herausgesucht und aufgeschlagen hatte. Atemlos holte sie es herbei und legte es auf seinen Schoß. Presste hart den Zeigefinger auf ein eingeklebtes Foto.
»Ist das derselbe Mann?«
Die Sorgenfalten auf Alessandros Stirn vertieften sich. Die Schatten um seine Augen wurden dunkler. »Sieht so aus.«
»Apollonio«, sagte sie. Nun kehrten die Erschütterung zurück und der Unglaube.
Alessandro fragte zögernd: »Rosa, wer zum Teufel ist das?«
Ihr Mund war trocken, ihre Zunge klebte am Gaumen. Sie brachte die Worte trotzdem hervor, leise, brüchig, mit der Stimme einer Fremden.
»Dieser Mann«, sagte sie, »ist mein Vater.«
Experiment
M inuten später sprachen sie noch immer kein Wort.
Rosa saß auf Alessandros Schoß im Sessel, er barg ihren Kopf an seiner Schulter. In der Stille der Bibliothek war sein Herzklopfen der einzige Laut. Seine Halsschlagader pochte an ihrer Wange, der Rhythmus schien durch ihren Körper zu wandern und sie von Kopf bis Fuß zu erfüllen. Als hielte er sie mit seinem Herzen am Leben, während sich ihr eigenes wie abgestorben anfühlte.
Irgendwann hob sie den Kopf und schaute ihm in die Augen.
»Du siehst es doch auch, oder?«
»Ja«, sagte er leise, »natürlich.«
»Ich meine, wirklich?«
»Er sieht genau aus wie der Mann auf dem Foto.«
Sie löste sich von ihm und stand auf, entfernte sich zwei, drei Schritte und wandte sich abrupt wieder um. »Er sieht nicht nur so aus, Alessandro! Das da auf dem Video ist mein Vater.«
Auch er erhob sich, war im nächsten Moment bei ihr und wollte sie an sich ziehen. Aber Rosa hob abwehrend beide Hände und schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen. »Der Mann, der Tano den Auftrag gegeben hat, mich zu vergewaltigen, das …« Sie brach ab, ließ die Hände sinken und stand für einen Moment vollkommen hilflos da. »So eine Scheiße«, flüsterte sie.
Er machte einen neuen Versuch, sie in die Arme zu nehmen, und diesmal ließ sie es zu. Sie standen einfach nur da und er gab ihr alle Zeit, die sie brauchte.
Plötzlich löste sie sich von ihm, rieb sich die Augen und straffte sich. »So«, sagte sie.
»So?«
»Es reicht. Zusammenbruch beendet. Die heulende, selbstmitleidige Rosa verabschiedet sich. Die alte Rosa ist zurück, abgeklärt, stubenrein, neurotisiert und garantiert tränenfrei.«
Er hob eine Braue. »Neurotisiert?«
»Wenn es das Wort noch nicht gibt, dann ist es jetzt meins.«
»Keiner sonst will es haben.«
»Ich schon. Ich mag meine Neurosen. Ich mag, dass sie ein eigenes Adjektiv haben.«
Er seufzte. »Was hast du vor?«
»Schritt eins: Rückblick. Was bisher geschah.«
Alessandro schwieg besorgt. Er schien auf einen Schock zu warten, auf einen hysterischen Anfall. Aber sie behielt sich im Griff. Sie fand, sie war die fleischgewordene Selbstbeherrschung.
»Mein Vater bekommt nach dem Tod meiner Großmutter einen Anruf«, begann sie. »Ein Mann namens Apollonio ist bei Trevini aufgetaucht und verlangt Geld – für Pelzmäntel aus Arkadiern, die noch nicht bezahlt worden sind … Klingt ziemlich irre. Wie irgendwas aus der Fernsehzeitschrift.«
»Okay.«
»Wegen des Anrufs lässt der Vater seine Familie im Stich und fliegt nach Europa, um diesen Apollonio persönlich ausfindig zu machen. Kurz darauf bekommen seine Frau und die beiden süßen Töchter die Nachricht, dass er an einem Herzschlag gestorben sei. Keine der drei fliegt zum Begräbnis. Großer Fehler. Denn später stellt sich heraus, dass sein Grab leer ist.« Sie rümpfte die Nase. »Glaubwürdig?«
»Mit Einschränkungen.«
»Weil es bis hierher so alltäglich klingt, bringen wir nun eine Verwicklung hinein. Fernsehzuschauer sind ja einiges gewohnt.«
Ihr zuliebe schien er sich auf das Spiel einzulassen. »Manche haben Lost gesehen.«
»Eine der Töchter wird vergewaltigt. Sie wird natürlich schwanger.« Ihr Zynismus machte es leichter, darüber zu sprechen, fast als wäre es einer anderen zugestoßen, nicht ihr selbst. »Anderthalb Jahre später taucht ein Video der Vergewaltigung auf und darauf zu sehen ist ein Mann, den alle Apollonio nennen. Gruselig genug, aber es kommt noch besser: Apollonio ist ihr Vater! Ende der ersten Staffel. Die Drehbuchautoren haben jetzt ein Jahr Zeit, um sich zu überlegen, wie sie aus diesem Unsinn wieder rauskommen.«
Er musterte sie prüfend, so als wollte er sichergehen, dass sie
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