Arkadien 02 - Arkadien brennt
das Zimmer und wollte gelobt werden. Sie kraulte ihn am Hals, dann ging sie fort.
Hinter ihr bellte der Hund von neuem die Tür an.
Das Video
D ie Bibliothek verhieß Sicherheit. Die Regale an den Wänden reichten fünf Meter hoch bis zur Decke. Tausende vergilbte Bücher füllten die Bretter, oft in zwei Reihen hintereinander, und auch der letzte freie Platz darüber war mit quer gestapelten Bänden ausgestopft. Wenn man sie hervorzog, würde man an vielen Stellen auf Schimmel stoßen; wie alle Räume des Palazzo war auch dieser ein Opfer des feuchten Mauerwerks.
Aber Rosa interessierte sich nicht für die Bücher, nur für die Stimmung, die sie verbreiteten. Der Raum vermittelte ihr das Gefühl, sich hier verkriechen zu können, unbeobachtet, ungestört.
Das Papier sperrte alle Geräusche aus. Nichts existierte außer den eigenen Gedanken.
Sie saß mit angezogenen Knien in einem knarzenden Ledersessel. Die Vorhänge vor den hohen Fenstern waren zugezogen, die feuerrote Abenddämmerung glomm in fadendünnen Ritzen. Eine altmodische Stehlampe mit Fransenschirm spendete senffarbenes Licht.
Sie kauerte da, in jeder Hand eines der Handys, die Trevini ihr zugeschickt hatte.
Sie schaltete das rechte ein. Irgendwer hatte den Zahlencode mit wasserfestem Filzstift auf den Rand geschrieben, in säuberlicher Mädchenschrift. Jemand, der wusste, wie man diese Dinger knackte. Wahrscheinlich die Contessa di Santis.
Im Display erschien ein Atompilz über einer Wüste. Valeries Handy, ohne Zweifel. Also würde Rosa mit dem Video von der Party beginnen, das sie zum größten Teil schon kannte. Sie atmete auf.
Nur eine einzige Videodatei war gespeichert. Trevini und die Contessa hatten alles präzise vorbereitet.
Und so sah sie sich noch einmal den verwackelten Film von der Feier an; sich selbst, wie sie ihr Glas auf einem Tisch abstellte und davonging; all die lachenden und grüßenden Menschen, unter ihnen Alessandro. Doch diesmal fror das Bild nicht auf ihm ein. Die Kamera schwenkte herum, zoomte unkontrolliert durch die Menge, begleitet von Valeries verrauschtem Kichern. Plötzlich kam abermals Rosa ins Bild, das Glas wieder in der Hand. Sie sagte lachend etwas zu Valerie hinter der Kamera, dann trank sie das Glas halb aus. Setzte es ab. Trank noch einmal. Wiegte sich im Rhythmus einer Musik, die dumpf aus dem überforderten Lautsprecher drang.
Der Film brach ab.
Rosas Hand zitterte. Sie hatte es bisher nicht wahrgenommen, weil das Bild so verwackelt war. Einmal mehr überlegte sie, es dabei zu belassen, beide Handys wegzuwerfen und nie wieder in ihrem Leben einen Gedanken an das zweite Video zu verschwenden.
Aber dann legte sie das erste Gerät beiseite und nahm das andere in beide Hände, als müsste sie es festhalten, damit es nicht aus ihren Fingern sprang. Auch sein Code war mit blauem Stift auf das Gehäuse geschrieben.
Rosa hatte ein anzügliches Hintergrundbild erwartet, etwas, das zum Clubbesitzer Michele passte, zu wilden Nächten und Exzessen. Stattdessen erschien ein Bild von Kater Tom, mit Jerry in der einen Hand, einem Messer in der anderen.
Auch auf diesem Handy gab es nur eine Datei. Das automatische Standbild im Ordner Videos war dunkel und verschwommen. Nichts zu erkennen.
Rosa legt den Daumen auf die OK-Taste.
Ihre Hand zitterte jetzt nicht mehr. Vielmehr schien sie wie gelähmt. Unfähig, diese letzte, winzige Bewegung zu vollziehen.
Sie hatte darüber nachgedacht, was sie zu sehen bekommen würde. Längst hatte sie eigene Bilder im Kopf, von sich selbst und von Tano. Sein kurzes dunkles Haar. Die lächelnden Augen hinter der schmalen Brille.
Sie dachte daran, wie sie ihm auf Sizilien zum ersten Mal begegnet war, auf der Beerdigung des Barons Carnevare. Wenig später, zwischen Reihen stiller Gräber, hatte Alessandro ihr das winzige Buch mit den Fabeln des Äsop geschenkt. Danach hatte sie Tano noch zweimal getroffen. Erst auf der Isola Luna, dem kleinen Vulkaneiland vor Siziliens Nordküste. Und schließlich, zum letzten Mal, als er und seine Motorradgang Rosa in der Ruine eines antiken Amphitheaters eingekesselt hatten; als er sie hatte zerfleischen wollen, in der Gestalt eines gewaltigen Tigers. Sie war Zeugin seiner Verwandlung geworden, dann seines Todes. Wie in Zeitlupe sah sie noch einmal vor sich, wie die Pistolenkugel sein Gesicht zerschmetterte.
Rosa schloss die Lider, spürte die Taste unter ihrem Daumen. Musste all ihre Kraft aufbringen, um den Finger langsam, ganz langsam zu
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