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Arkadien 02 - Arkadien brennt

Titel: Arkadien 02 - Arkadien brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Wort. Er hatte den Ton abstellen wollen, aber Rosa hatte ihn mit einem Kopfschütteln davon abgehalten. Sie musste hören, wann der Moment kam, auf den sie wartete.
    Verzerrte Stimmen aus dem Hintergrund verschmolzen mit dem Rauschen des schwachen Handymikrofons. Die Bilder hatten sich in Rosas Netzhaut eingebrannt, sie konnte sich nicht dagegen wehren. In dem Raum, in dem sich alles abgespielt hatte, loderte ein Kaminfeuer. Wahrscheinlich war es das Wohnzimmer von Tanos Wohnung in der Charles Street gewesen, eine oder zwei Etagen über dem Apartment, in dem die Party stattgefunden hatte. Mehrere Personen waren anwesend, aber sie waren nur Schemen im schlecht beleuchteten Hintergrund. Michele hatte mit dem Handy gefilmt, seine Stimme war am deutlichsten zu hören. Er hatte die Kamera auf ein breites Sofa gerichtet, eine Art Diwan mit dunklem Bezug. Überall lagen Kissen herum, die meisten hatte Tano beiseitegefegt.
    Um sich abzulenken, blieb Rosa vor einem der Bücherregale stehen, schloss die Augen und tastete über die brüchigen Buchrücken. Sie zog einen Band hervor, öffnete ihn in der Mitte und hob ihn unter ihre Nase. Das Buch hätte besser riechen müssen, nach Leim und Papier, nach Druckerschwärze.Doch sie roch nur die Feuchtigkeit des Gemäuers, die zwischen die Seiten gekrochen war.
    Plötzlich erkannte sie in den Geräuschen auf dem Video ihre eigene Stimme. Alessandro sah zu ihr hin und regulierte den Ton auf null.
    »Das muss niemand mit anhören«, sagte er heiser. »Ich nicht, und du schon gar nicht.«
    »Doch«, protestierte sie, schob das Buch ins Regal und eilte zu ihm hinüber. »Gleich ist es so weit.«
    »Was?«
    »Das sollst du ja selbst sehen.«
    Widerwillig schaute er abermals auf das Display. Weil sie so vehement darauf bestand, schob er den Tonregler ein wenig höher, aber seine Miene verriet, wie sehr ihm das zuwider war.
    Seine Augen glänzten stärker als zuvor, das bemerkte sie erst jetzt. Sie wandte sich ab, um ihre eigenen Tränen zu verbergen.
    Tano war jetzt deutlicher zu hören. Einen Moment lang schien nichts anderes zu existieren, allein die Laute dieses Toten –
    Sein Tigergesicht explodierte. Lilias Pistolenkugel sprengte es wie einen Kohlkopf.
    –, der auf dem Video noch quicklebendig war.
    Eine Türklingel läutete. Gleich darauf ein zweites Mal. Das Handy wurde hektisch irgendwo abgelegt, filmte weiter aus einer starren Perspektive.
    Stimmen im Hintergrund, dann die von Michele: »Guten Abend, Mister Apollonio.«
    Rosa sah Alessandro an, der noch immer widerstrebend wirkte und voller Abscheu. Hektisch wischte er sich mit dem Handrücken über die Augen, sah wieder hin.
    »Die Herren Carnevare« , sagte eine harte Stimme. »Ein echtes Familientreffen. Sind Sie fertig?«
    Tano fluchte.
    Der Tonfall des Fremden wurde schärfer. »Wir bezahlen Sie nicht für Ihr Vergnügen.«
    Alessandro sah zu Rosa auf, wollte etwas sagen, aber ihm fehlten die Worte.
    »Du musst hinsehen!« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Auf sein Gesicht!«
    Er war kurz davor, das Handy von sich zu schleudern, senkte dann den Blick.
    »Apollonio ist nicht zu sehen«, brachte er mühsam hervor. »Michele hat das Handy hingelegt. Man sieht nur ein Stück von dem Sofa.«
    »Gleich kommt Apollonio ins Bild.«
    Jetzt war Tano wieder zu hören. Als einer der Umstehenden eine dumme Bemerkung machte, geriet der Besucher außer sich: »Raus hier! Alle raus, bis auf Sie beide!« Damit musste er Tano und Michele meinen.
    Kurz darauf schlug eine Tür zu.
    Rosa trat hinter den Sessel und beugte sich über Alessandros Schulter. Zum ersten Mal, seit er das Video ansah, schaute auch sie auf das Display.
    »Drück auf Pause«, sagte sie. »Warte … jetzt!«
    Alessandro hielt den Film an. Ein rotgelber Schmierfleck: eine Gestalt, ein Gesicht, völlig verwischt. Das konnte jeder sein.
    Rosa umrundete hektisch den Sessel und setzte sich neben Alessandro auf die Armlehne. »Gib mal her.«
    Sie nahm das Handy aus seiner Hand und drückte drei, vier Mal in rascher Folge auf Pause und Play. Zuletzt war das Bild zwar noch immer verschwommen, aber es reichte aus, um Apollonios Züge zu erkennen.
    Sie reichte das Handy zurück an Alessandro, sprang auf, blieb vor ihm stehen, schlug die Arme um ihren Oberkörper und wippte nervös auf den Fußballen.
    Er hielt das Display näher an die Augen, dann weiter weg. Sie sah ihm an, dass er nach wie vor keine Ahnung hatte, wer der Mann auf dem Video war.
    »Du kennst ihn nicht«,

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