Arkadien 03 - Arkadien fällt
und läuft los, auch nicht, wenn er unter Schock steht. Der alte Mann hat von einem Rollstuhl gesprochen. Fundling kann noch immer nicht wieder laufen, wahrscheinlich ist er völlig geschwächt. Andere Leute gehen bei so was erst mal ein Jahr in die Reha. Ich schätze, Quattrini hat ihn die ganze Zeit über beobachten lassen, wahrscheinlich von einem Informanten in der Klinik. Als sich abgezeichnet hat, dass er aufwacht, haben sie ihn heimlich dort rausgeholt und es anschließend so aussehen lassen, als wäre er auf eigene Faust abgehauen und dann in diesen Felsspalt gestürzt.«
»Was in Wirklichkeit nie passiert ist.«
»Sie haben das alles erfunden, um seine Spuren zu verwischen. Mit der Bestattung in eurer Familiengruft sollte es zu Ende sein. Alle Welt hätte ihn für tot gehalten, sogar du.«
Er wirkte niedergeschlagen. Fundlings Misstrauen traf ihn tiefer, als sie für möglich gehalten hatte.
»Hey«, sagte sie leise und setzte sich auf. »Wer weiß schon, was in seinem Kopf vorgegangen ist. Er hatte eine schwere Schussverletzung, und er hat fast ein halbes Jahr einfach nur dagelegen. Wir wissen nicht mal, ob er vielleicht wach war und sich nur nicht verständlich machen konnte. Jedenfalls war genug Zeit, um sich alles Mögliche einzureden.« Wenn sie selbst nachts wach lag, eschien ihr all das Zeug, das ihr durch den Kopf ging, völlig logisch. Erst bei Tageslicht entpuppte es sich als überzogen und unsinnig. Hatte Fundling etwas Ähnliches fünf Monate lang durchgemacht?
»Also«, sagte Alessandro, »spricht alles dafür, dass der Mann im Hotel die Wahrheit gesagt hat. Sonst hätte Festa uns nicht gefunden. Fundling muss wirklich da unten sein.«
Sie blickte den Hang hinab auf das Hotel, dessen Umrisse allmählich mit der Dunkelheit verschmolzen. Die Luft wurde immer kühler, Rosa hatte längst eine Gänsehaut. »Wir können nicht zu ihm. Darauf warten die doch nur.«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Warum auch? Offenbar will er uns ja nicht sehen.«
»Eines wüsste ich trotzdem gern.«
»Mori«, sagte Alessandro. »Er lässt dir keine Ruhe.«
Sie beugte sich vor, zog die Beine ganz fest an ihren Oberkörper. »Warum hat dein Vater den Befehl gegeben, Mori und seine Frau zu töten?«
»Mori muss irgendwas rausgefunden haben. Etwas, das mein Vater unbedingt geheim halten wollte.«
»Er und Cesare haben so was schon einmal getan. Damals hat er die Dallamanos fast ausrotten lassen.«
Taucher des Dallamano-Clans hatten am Meeresgrund der Straße von Messina mehrere antike Statuen entdeckt, die Darstellung eines Panthers und einer Schlange. Der Baron Carnevare und sein Berater Cesare hatten die Dallamanos daraufhin ermorden lassen. Nur Augusto Dallamano war ihnen entkommen. Quattrini hatte ihn ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen und heimlich nach Sintra in Portugal bringen lassen, nachdem seine Aussagen vor Gericht einige Clans empfindlich getroffen hatten. Die Carnevares aber waren ungeschoren davongekommen, denn der Baron hatte die Nichte des Verräters, Iole, als Geisel gefangen gehalten.
Falls sich nun bestätigen sollte, dass Leonardo Mori im Auftrag der Carnevares getötet worden war, lag der Gedanke nahe, dass es dafür ähnliche Gründe gegeben hatte wie für das Massaker an den Dallamanos. War Mori im Lauf seiner Recherchen auf Informationen über die Arkadischen Dynastien gestoßen?
Rosa rückte sich auf dem unbequemen Felsboden zurecht. »Dieses Buch, das er geschrieben hat, Die Löcher in der Menge … Könnte das mit den Dynastien zu tun gehabt haben?«
Alessandro musterte sie. »Ich weiß, was du vorhast.«
»Wir haben keine Klamotten mehr, kein Geld und kein Auto. Es macht mich wahnsinnig, dass wir Iole nicht helfen können. Ich kann sie nicht mal anrufen. Aber solange wir auf Sizilien festsitzen, können wir ebenso gut versuchen, die Wahrheit herauszufinden. Es hängt doch alles irgendwie zusammen. Von Mori und den Löchern in der Menge über die Dynastien und die Statuen im Meer bis hin zu Evangelos Thanassis und TABULA.«
»Und TABULA und deinem Vater«, fügte er hinzu und kam damit zu jenem Punkt, der ihr am meisten zu schaffen machte.
Sie senkte den Blick. »Falls mein Vater wirklich noch am Leben ist, dann muss ich ihn finden.«
»Ich dachte, für Rache bin ich zuständig.«
Sie sah ihn traurig an.
»Entschuldige«, sagte er, »das war bescheuert.«
»Nein, du hast ja Recht. Ich hab keine Ahnung, was ich tue, wenn ich ihm begegne. Vielleicht reicht es schon,
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