Arkadien 03 - Arkadien fällt
durch die Straßen und fand schließlich einen Park. Zwischen einigen Büschen legte sie ihre Kleidung ab, wurde zur Schlange und rollte sich hinter einem Stein zusammen.
Sie schlief, bis der Abend dämmerte.
Der alte Mann schloss die Ladentür ab und zog ein Gitter vor. Mit schlurfenden Schritten entfernte er sich bergab, in einer Hand eine lederne Aktentasche, in der anderen einen Stoffbeutel voller Bücher. Rosa – jetzt wieder Mensch, mit zerwühltem blonden Haar und zerknitterter Bluse – wartete ab, bis er hinter der nächsten Biegung verschwunden war. Dann näherte sie sich dem Eckhaus, in dem sich der Laden befand.
Nach einem letzten prüfenden Blick die Straße hinunter bog sie in die enge Gasse neben dem Laden. Die Fenster im Erdgeschoss des Gebäudes waren vergittert und die des hinteren Zimmers mit den kostbaren Sammlerausgaben lagen so hoch über dem Boden, dass sie nicht mal einen Blick hineinwerfen konnte.
Nach zwanzig Metern stieß sie auf eine Holztür, die wohl auf einen Hinterhof führte. Sie war von innen mit einer Kette und einem Vorhängeschloss gesichert. Darüberklettern konnte sie nicht, weil die Mauer zu hoch war. Unter der Tür aber gab es einen Spalt, vermutlich für die Katze der Nachbarin.
Vorsichtig schaute sie in alle Richtungen, entdeckte niemanden in der Gasse und verwandelte sich. Aus dem zusammengesunkenen Kleiderhaufen schlängelte sie sich durch den Spalt.
Der Hof war winzig, gerade groß genug für ein altes Fahrrad und einen zusammenklappbaren Wäscheständer. Hoch über ihr waren Leinen gespannt, auf denen tropfende Laken hingen. Es gab zwei Hintertüren. Eine war vergittert und führte in den Laden, die andere ins Nachbarhaus. Dort brannte Licht hinter einem Fenster im ersten Stock. Der Himmel war noch nicht pechschwarz, aber die letzte Helligkeit reichte kaum bis in diesen ummauerten Winkel der Altstadt. Von irgendwoher drang verzerrte Musik aus einem Radio.
Rosa schob ihren Schlangenschädel zurück durch den Spalt und zerrte mit dem Maul ihre Kleidung von der Gasse auf den Hof. Sie hoffte inständig, dass nicht gerade jetzt die Nachbarin aus dem Fenster schaute und die bernsteinfarbene Riesenschlange unter ihrer Wäsche entdeckte.
Eine kurze Untersuchung zeigte ihr, dass die Hintertür des Ladens mehrfach gesichert war. Blieb nur das kleine Fenster, gleichfalls vergittert und gut zwei Meter über dem Boden.
Langsam ringelte sie sich an einer der Eisenstangen vor der Tür aufwärts. Oben angekommen stieß sie den Schädel schräg zum Fenster hinüber und zog von dort mit aller Kraft den Rest ihres Reptilienleibes nach. Schließlich lag sie eng verschlungen auf dem Fenstersims zwischen Scheibe und Gitterstäben. In der Hoffnung, dass das Radio den Lärm übertönte, presste sie ihren Schuppenleib, so fest sie nur konnte, gegen das Glas. Es zersprang und fiel mit klirrendem Getöse ins Innere.
Eine Weile hielt Rosa still und erwartete, dass eine Alarmanlage losjaulen oder die aufgebrachte Nachbarin erscheinen würde. Erst als es ruhig blieb, glitt sie durch das zerbrochene Fenster ins Innere, erreichte den Boden, lauschte noch einmal auf verdächtige Laute und wurde zum Menschen.
Nackt stand sie im düsteren Hinterzimmer. Durch die kleinen Fenster zur Gasse fiel schwacher Dämmerschein, gerade genug, um das Rund der Lesepulte auszumachen. Bei jedem Schritt befürchtete sie, irgendeine Lichtschranke zu passieren oder verborgene Sensoren im Boden zu berühren.
Sie fand das Buch und knipste die kleine Lampe über dem Pult an. Nach einem letzten Blick auf die Gittertür zum Korridor schlug sie Die Löcher in der Menge auf.
Es war ein gebundenes Buch, gedruckt auf hochwertigem Papier und, soweit sie das beurteilen konnte, ohne jeden Makel. Zaghaft beugte sie sich vor und atmete ein. Es roch neu, so als wäre es nie zuvor aufgeschlagen worden.
Auf der ersten Seite standen Moris Name, der Buchtitel und das Erscheinungsjahr. Außerdem war ganz unten mit einem kleinen Schriftzug der Verlag vermerkt, Hera Edizioni, RG . Die beiden Großbuchstaben standen für Ragusa. Natürlich: Hybla Hera, die Stadt der Sikuler. Hera Edizioni.
Auf der nächsten Seite fand sie im Impressum die Verlagsadresse.
Es war diese hier. Das Haus, in dem sie sich befand.
Und da begriff sie, dass sie vor einigen Stunden mit dem Verleger selbst gesprochen hatte. Der alte Mann hatte Leonardo Mori persönlich gekannt.
Ihre Fingerspitzen zitterten ein wenig, als sie das Inhaltsverzeichnis
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