Arkadien 03 - Arkadien fällt
irgendwelche Vogelschreie ausgestoßen, die wahrscheinlich bis nach Ragusa zu hören waren. Dann ist sie plötzlich totenstill geworden. Ich hab versucht, von vorne durch den Schieber reinzuschauen, aber es war zu dunkel. Sie hat die Innenbeleuchtung demoliert. Was hätte ich denn tun sollen? Also bin ich nach hinten und hab die Tür einen Spalt geöffnet. Da hat sie mich angegriffen.«
»Du wolltest sie schon die ganze Zeit über loswerden. Und du hast genau gewusst, dass ich so schnell nicht wieder hier sein würde. Ganz toll, wirklich.« Wütend machte sie einen Schritt auf ihn zu. »Ich hab dir gesagt, dass ich bei so was nicht mitmache.«
Als er widersprechen wollte, winkte sie ab. Kurz spielte sie mit dem Gedanken, die Hecktüren zu öffnen und sich den Leichnam anzusehen, erinnerte sich dann aber, dass sie noch immer splitternackt war, und ging nach vorn. Sie schleuderte die Seiten aus Moris Buch auf den Sitz und wühlte in der Reisetasche der toten Schwestern. Wenig später schlüpfte sie in ein schwarzes Stretchkleid und in Turnschuhe, die ihr mindestens eine Nummer zu groß waren. Dann leerte sie die Tasche aus, warf die arg lädierten Buchseiten hinein, dazu das Portemonnaie der Malandras, das restliche Serum und den Injektor.
Sie hörte Alessandro hinten am Transporter hantieren und ging mit der Tasche in der Hand zurück zu ihm. Die eine Seite der Hecktüren stand offen. Sie konnte nicht anders, als doch noch einen Blick hineinzuwerfen.
Panther waren beim Töten nicht zimperlich. Sie hatte schon früher mit angesehen, wie Alessandro Gegner bezwungen hatte, und es war nie ein schöner Anblick gewesen. Was aber hier im Wagen geschehen war, ließ sie zwei Schritte zurückprallen. Die Tasche fiel neben ihr ins Gras.
Alessandro war in den Laderaum gestiegen und schien nach etwas zu suchen. Die einzige Lichtquelle war ein Feuerzeug, das er im Handschuhfach gefunden hatte. Der Schein der kleinen Flamme flackerte im Abendwind aus dem Tal und erzeugte mehr Schatten als Licht.
»Was ist passiert?«
»Wonach sieht’s denn aus?«, gab er gereizt zurück.
Im Wagen stank es nach Blut, Gefieder und Schlimmerem, eine Mischung aus Schlachterei und verwahrlostem Hühnerstall.
»Sie wollte nicht aufgeben«, sagte er. »Sie war ziemlich … sauer.«
» Das hast du mit deinen Zähnen gemacht? Fuck, Alessandro, wie –«
»Vorwürfe sind jetzt wahnsinnig hilfreich, vielen Dank.«
Fröstelnd trat sie im Freien von einem Fuß auf den anderen. »Kannst du mir mal erklären, was du da tust? Du willst da drinnen doch nicht sauber machen , oder?«
»Wir können nicht mit einer Leiche und einem abgetrennten Kopf durch die Gegend fahren.«
»Suchen wir uns einen anderen Wagen. Von mir aus fahren wir mit der Bahn.«
Es tat ihr nicht leid um Aliza. Die Harpyie hatte Quattrini auf bestialische Weise umgebracht – und sie hatte es getan, weil sie dafür bezahlt worden war. Doch wieder einmal erschrak sie vor Alessandros Effizienz als Mordmaschine. Sie sah den Jungen vor sich, den sie so gernhatte, und zugleich begriff sie mit jedem Tag ein wenig deutlicher, welche Killerinstinkte in ihm steckten, sobald sein arkadisches Erbe erwachte.
Aber war sie selbst denn anders? Sie hatte Salvatore Pantaleone getötet und erst vor kurzem Michele Carnevare. Dazu kamen die Hundinga-Söldner des Hungrigen Mannes beim Brand des Palazzo. Sie war nicht besser als er – und kein bisschen menschlicher. Es wurde Zeit, das zu akzeptieren.
»Ich setz mich da nicht mehr rein«, sagte sie. »Lass uns hier abhauen.«
Er sprang aus dem Laderaum, landete auf allen vieren – der Blutgeruch hielt einen Teil des Raubtiers in ihm wach – und stellte sich aufrecht. Sorgfältig wischte er sich die Schuhsohlen am Gras ab.
»Und wo sollen wir hin?« Ein letztes katzenhaftes Funkeln verblasste in seinen Augen. »Irgendwer wird diese Sauerei hier entdecken. Unsere Fingerabdrücke und Haare sind überall da drinnen.«
»Sie suchen uns schon wegen Mordes. Das hier wird es nicht schlimmer machen.« Sie zog das hautenge Kleid glatt und nahm die Reisetasche auf. Dann trat sie an ihm vorbei und warf die Hecktür des Transporters zu. Der Gestank hing weiterhin über der Lichtung, und sie hatte das ungute Gefühl, dass er ihnen folgen würde, ganz gleich wohin sie gingen.
Als sie sich umdrehte, stand er unmittelbar vor ihr. »Was ich gesagt habe, ist die Wahrheit«, sagte er leise. »Ich hab nicht abgewartet, bis du weg warst, um … das da zu tun.
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