Arkadien 03 - Arkadien fällt
Aber sie fühlten sich sicher, allmächtig, und sie haben veranlasst, dass überall auf der Brücke Standbilder von Panther und Schlange errichtet wurden, unzählige davon, außerdem Tempel, in denen Reisende vor Abbildern der beiden Herrscherdynastien Opfer darbringen sollten.«
Rosa sah in Gedanken die Steinfiguren auf den Unterwasserfotos vor sich. »Und damit haben sie gegen die Spielregeln der Götter verstoßen.«
»Nun, natürlich gab es nach wie vor keine offiziellen Verbindungen zwischen Lamien und Panthera, keine Hochzeiten, schon gar keine Kinder. Daran hielt man sich und schritt mit aller Macht ein, sobald es doch einmal dazu zu kommen drohte. Darüber aber vergaßen die Dynastien den eigentlichen Grund für dieses Gesetz, das doch ursprünglich nur verhindern sollte, dass sich Lamien und Panthera selbst zu Göttern erhoben.«
»Aber das sind alles nur Legenden«, sagte Alessandro. »Götter, die vom Olymp steigen und den Menschen Gesetze aufzwingen, sind nicht –«
»Und deine Fähigkeit, dich zu verwandeln?«, fiel ihm Thanassis ins Wort. »Hast du eine Erklärung dafür, die den Einfluss der Götter ausschließt ?«
»Was ist danach passiert?«, fragte Rosa.
»Die Götter zürnten den Arkadiern – jedenfalls behauptet das die Legende «, sagte Thanassis mit einem Seitenblick auf Alessandro. »Die Brücke war vollendet, das Volk feierte an den Ufern und auf dem Bauwerk selbst. Lamien und Panthera sahen sich selbst auf dem Zenit ihrer Herrschaft.«
»Und die Götter machten dem ein Ende«, flüsterte Rosa.
»Erdbeben«, widersprach Alessandro. »Die Straße von Messina ist eines der berüchtigtsten Erdbebengebiete der Welt. Der Meeresgrund kommt nie zur Ruhe, ständig verschiebt sich irgendwo der Boden. Götter haben damit herzlich wenig zu tun.«
»Wer weiß, vielleicht war es wirklich nur ein Beben«, sagte Thanassis. »Die wenigen Überlieferungen, die wir ausfindig machen konnten, berichten, dass die Götter unsichtbar unter den Feiernden wandelten und das Spektakel voller Groll beobachteten. Schließlich, als das Fest seinen Höhepunkt erreichte, entfesselten sie die Gewalten der See. Der Boden wölbte sich auf und brach auseinander, das Meer trat über die Ufer, Stürme tobten. Die Brücke wurde von den Fluten verschlungen, ebenso ganze Küstenstreifen und einige der größten Städte. Damals erhielt Sizilien seine heutige Form. Die Brücke verschwand in Spalten und Schluchten am Meeresgrund, und mit jedem Beben, das die Gegend seither heimgesucht hat, ging ein weiteres Stück der Wahrheit verloren. Mit wenigen Ausnahmen. Eines dieser Erdbeben, vielleicht das große von 1908, hat etwas zum Vorschein gebracht, hat es regelrecht aus dem Abgrund heraufgespült.«
»Unsere Statuen«, sagte Rosa. »Oder Ihre.«
»Sie waren offenbar dort unten wie in einer Blase im Fels eingeschlossen, sonst wären kaum so viele von ihnen gefunden worden. Es ist, als wären ein paar der alten Arkadier selbst auferstanden.«
»Aber es muss Überlebende gegeben haben«, sagte Alessandro. »Sonst wären wir nicht hier.«
»Natürlich. Überall in der bekannten Welt waren arkadische Händler, Diplomaten und Scholaren unterwegs. Sicher war ein großer Teil von ihnen nach Hause gereist, um dem Triumph der Brückenbauer beizuwohnen, doch längst nicht alle. Und auch die Katastrophe selbst hat nicht das gesamte Volk getroffen, im Inland blieben sicher einige am Leben. Viele mögen sich in den kommenden Jahren unter die anderen Nationen am Mittelmeer gemischt haben, andere sind vielleicht noch weiter gezogen, nach Asien, Afrika, hinauf in den Norden. Die meisten dürften in Griechenland und seinen Kolonien eine neue Heimat gefunden haben, und dort haben sie langsam damit begonnen, neuen Einfluss zu erlangen. Deshalb existieren die Arkadischen Dynastien noch heute, aber im Verborgenen, hinter Masken.«
»Ich möchte die Statuen sehen«, sagte Rosa. »Sie sind doch hier an Bord, oder?«
Thanassis drehte auf seinem Kissen den Kopf in die Richtung seiner Tochter und verzog das Gesicht, als einer der Schläuche unter Spannung geriet. Sofort war die Krankenschwester zur Stelle. »Danai«, sagte er, »sei so gut und zeig den beiden unsere Fundstücke.«
»Bist du sicher?«
»Ich denke, sie haben es sich verdient.«
Die Hybride wippte unbehaglich im Zentrum ihres Reifrocks wie auf einem schwarzen Kissen, dann nickte sie.
»Meine Stimme braucht ein wenig Erholung.« Er schaute wieder zu Rosa hinüber. »Aber wir
Weitere Kostenlose Bücher