Arkadien 03 - Arkadien fällt
Knochen, ihre kleinen Brüste –, hörten einfach auf zu existieren. Ihr Haar wurde zu Strängen aus Haut und Gewebe, legte sich an Schulter und Kopf und verschmolz mit ihrem bernsteinfarbenen Schuppenleib. Ihre Zunge spaltete sich, zischelte aus flachen Reptilienkiefern. Auch ihre Sicht veränderte sich, die Umgebung war in glasklare Helligkeit getaucht.
Schließlich lag sie als Schlange im Duschbecken, rekelte und aalte sich im Wasser und konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt so wohlgefühlt hatte.
Irgendwann wurde das Wasser kälter, der Boiler der Villa war an seine Grenzen gelangt. Rosa verwandelte sich zurück und hatte danach eine neue Haut, frei von Prellungen und Schürfwunden.
Als sie aus der Dusche trat, stand Alessandro vor ihr. Sie fragte sich, wie lange er sie wohl schon beobachtet hatte.
»Für das, was du da machst, gibt es ein Wort«, sagte sie mit einem verlegenen Lächeln, während sie nach einem Badetuch griff und sich das Haar rubbelte. Zum ersten Mal seit Tagen konnte sie ihren eigenen Geruch wieder ertragen, nicht einmal der künstlich-blumige Duft des Shampoos störte sie.
Auch Alessandros Haare waren nass, er hatte in einem anderen Badezimmer der Villa geduscht. Während sie mit dem Tuch hantierte, bewunderte sie seinen ebenmäßigen Körperbau. Er trug nichts bis auf ein Handtuch, das er sich um die Hüften gebunden hatte. Ihr Frotteebademantel hing hinter ihm an einem Haken neben der Tür.
Das Bad befand sich im ersten Stock der Villa. Die Außenwand war aus Glas, das fugenlos vom Boden bis zur Decke reichte. Einige Meter tiefer fiel der graue Hang aus Lavagestein steil und zerklüftet bis zum Meer ab. Obwohl die Scheibe leicht beschlagen war, tauchte das Licht der Morgensonne alle Wasserhähne, Beschläge und Spiegel in Gold. Genau wie seine nackte Haut.
»Ich wollte nicht länger warten«, sagte er.
Sie hob amüsiert eine Augenbraue. »Jetzt? Hier?«
»Nicht damit«, entgegnete er lächelnd. »Wir müssen über Giuliana reden.«
»Giuliana existiert nicht mehr.« Sie trocknete weiter ihr langes Haar. »Das Tal ist in einem Stausee verschwunden. Cesare und dein Vater haben ganze Arbeit geleistet.«
Sie war noch nicht lange auf Sizilien gewesen, als ihre Schwester Zoe sie dorthin gebracht hatte. Von einer Staumauer aus hatten sie in die Tiefe geblickt, auf einen See, der ein ganzes Dorf verschlungen hatte – und angeblich auch dessen Bewohner. Es hieß, die Carnevares hatten den Bauauftrag für den Damm erhalten, obwohl niemand Verwendung für das Wasser oder die erzeugte Energie hatte. Millionen und Abermillionen waren durch das Projekt auf die Konten des Clans gespült worden. Die Einwohner Giulianas, die gegen die Räumung ihres Dorfes protestiert hatten, waren laut offiziellen Berichten nach Kalabrien umgesiedelt worden. Dennoch wurde beharrlich gemunkelt, dass die Carnevares sie zum Schweigen gebracht und mitsamt ihren Häusern im Stausee versenkt hatten.
Alessandro wusste, dass Rosa die Geschichte über den Mord an den Bewohnern kannte, aber er hatte das Ganze als eine moderne Legende abgetan.
»Falls Lykaons Grab existiert«, sagte Rosa, »oder auch nur ein Stein davon, dann liegt das alles tief unten in diesem See. Allmählich verstehe ich, wie Cesare getickt hat. Er war ein Scheißkerl, aber er war auch ein Gegner des Hungrigen Mannes. Und was immer damals in Giuliana wirklich passiert ist – der Grund für den Bau der Staumauer war offenbar weniger das Geld, das ihr damit verdient habt, als vielmehr der Versuch, den Hungrigen Mann von einer zweiten Machtergreifung abzuhalten.«
Er lehnte sich gegen eines der marmornen Waschbecken. Im Spiegel konnte sie seinen muskulösen Rücken sehen; sie musste sich davon losreißen, um ihm in die Augen zu blicken. Die gefielen ihr sogar noch besser, das einzige Grün in dem sterilen Raum.
»So weit mag das alles einen Sinn ergeben«, sagte er. »Cesare und mein Vater haben das Tal in einen See verwandelt, um das Grabmal für immer unzugänglich zu machen. Nur mit einem haben sie nicht gerechnet.«
Sie legte das Handtuch beiseite, betrachtete ihr hellblondes Haar im Spiegel und fand, dass es aussah wie ein geplatzter Strohballen. »Womit?«
»Dass es einen Umsturz innerhalb des Clans geben würde. Dass es dem Hungrigen Mann gelingen könnte, Einfluss auf die Carnevares zu nehmen.«
»Wie lange würde es dauern«, fragte sie, »so einen See ablaufen zu lassen? Ein Jahr? Oder zwei?«
»Vier Monate.«
»Nur?«
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