Arktis-Plan
keinerlei Landeabsicht. Sie waren im kontrollierten Reiseflug und hatten ein ganz anderes Ziel.«
»Wenn das der Fall war, hätten sie die Insel dann nicht auf ihren Navigationskarten gesehen?«, fragte Smith.
»Sie dürfen nicht vergessen, dass über diesen Teil der Welt detaillierte Informationen für die Navigation im Jahr 1953 so gut wie gar nicht existierten. Die genauste Karte hatten die Vereinigten Staaten, aber sie war ein militärisches Geheimnis. Dazu kommt noch, dass Wednesday Island eine Art Laune der Natur ist. Es ist einer der höchsten Punkte innerhalb der Queen Elizabeth Inseln. Derjenige, der damals die Route dieses Flugzeugs ausgeheckt hat, hatte keine Ahnung, dass hier draußen ein verdammt großer Berg mitten im Nordpolarmeer geparkt ist.«
»So hoch ist der Berg nun auch wieder nicht«, sagte Smith nachdenklich. »Wir sind hier nur gut achthundert Meter über dem Meeresspiegel. Wäre das für ein Flugzeug mit Druckausgleich wie dieses hier nicht eine ziemlich geringe Reisehöhe?«
»Auf alle Fälle«, stimmte sie ihm zu. »Tatsächlich würde eine Tu-4 oder eine B-29 nur aus einem einzigen Grund so tief fliegen: weil die Besatzung sich Sorgen macht, das Flugzeug könnte auf dem Radarschirm eines Verteidigungsfrühwarnsystems auftauchen.«
Jon zwang sich, den Advocatus Diaboli zu spielen. »Hätten sie die Insel denn nicht auf ihrem eigenen Navigationsradar gesehen?«
»Nur, wenn sie ihn benutzt haben. Was ist, wenn sie unter EM-CON-Bedingungen geflogen sind und ihre gesamten Funk- und Radarsender abgeschaltet haben, um sich einer Entdeckung zu entziehen?«
Falls das überhaupt vorstellbar war, schien es noch kälter zu werden. »Und was halten Sie davon, Professor?«, fragte Smith.
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, Colonel«, erwiderte sie. »Oder genauer gesagt, ich weiß nicht, was ich davon halten will. Aber eines steht für mich fest. Morgen früh müssen wir unbedingt die Besatzung dieses Flugzeugs finden. Das könnte für die größeren Zusammenhänge sogar noch wichtiger sein als das Anthrax.«
»Glauben Sie, das könnte etwas mit den Hintergedanken der Russen zu tun haben?«
Er sah sie nicken. »Aller Wahrscheinlichkeit nach. Ich habe den Verdacht, wenn wir das Notlager finden, werden wir wissen, woran wir sind.«
»Und ich habe den Verdacht, bis dahin wissen wir auch, woran wir bei Major Smyslov sind«, erwiderte Smith grimmig.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Smyslov, wie Smith ins Heck des Flugzeugs verschwand. Den ganzen Abend über hatte er auf eine Gelegenheit gewartet. Auf einen Moment, in dem die anderen beschäftigt oder abgelenkt waren. Jetzt könnte seine Chance gekommen
sein, die beste Gelegenheit, die sich ihm bieten würde, wenn nicht gar die einzige.
Er begab sich zu dem Verbindungstunnel, der nach vorn führte, und schlängelte sich so rasch und so leise wie möglich ans andere Ende. Er wusste genau, wonach er suchte, und ebenso genau wusste er, wo das Gesuchte sein sollte. Außerdem hatte er einen Schlüsselbund in der Tasche. Schlüssel, die mehr als fünfzig Jahre alt waren.
Früher am Tag, als er mit Smith und Metrace im Cockpit gewesen war, hatte er nicht gewagt, danach zu suchen. Er durfte es nicht riskieren, Aufmerksamkeit auf die offiziellen Dokumente der Misha 124 zu lenken, solange er sich nicht persönlich vergewissert hatte, wie es um sie stand.
Während er in die vordere Druckkabine robbte, zog er eine Taschenlampe aus seinem Parka. Er klemmte sie sich zwischen die Zähne, sank neben dem Platz des Navigators auf die Knie und ließ den schmalen Lichtstrahl über den Kartentresor unter dem Tisch gleiten. Dann zog er den Schlüsselring heraus und fummelte am Schloss des Tresors herum.
Dieses Flugzeug war ein Bomber der sowjetischen Luftstreitkräfte gewesen, und in der alten Sowjetunion waren Landkarten Staatsgeheimnisse und wurden jedem vorenthalten, der nicht ausdrücklich bevollmächtigt war.
Nach anfänglichem Widerstand drehten sich die Zuhaltungen des Schlosses zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert. Smyslov zog die schwere kleine Tür auf.
Nichts! Der Tresor war leer. Die Navigationskarten und die Zielschablonen, die man dem Radaroperator hätte aushändigen sollen, waren verschwunden.
Er vergeudete keine Zeit, sondern machte die Tür des Tresors schleunigst wieder zu und drehte den Schlüssel im Schloss. Als Nächstes kamen das Logbuch des Bombers und die Befehle des Flugzeugkommandanten an die Reihe. Smyslov ging
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