Arktis-Plan
dann hätten sie Rettung herbeigerufen. Offenbar haben sie das Funkgerät nicht gebaut.«
Wer auch immer Gregori Smyslov für diese Aufgabe ausgewählt hatte, hatte sich in einem entscheidenden Punkt in dem Mann getäuscht. Mit dem Mund log er gut, aber seine Augen und seine Körpersprache verrieten ihn. Die Worte des Russen unterstrichen die subtile Veränderung, die sich über Nacht in die Dynamik des Teams eingeschlichen hatte. Wieder einmal hatten sich klare Fronten gebildet, wir gegen die anderen, und Smyslov stand allein da.
Und doch, grübelte Smith, wenn diese Frontenbildung tatsächlich stattgefunden hatte, warum hatte Smyslov ihn dann gestern Nachmittag nicht schlicht und einfach in dem Bombenschacht ersticken lassen? Er hatte einen Blankoscheck zum Töten gehabt.
»Wir müssen möglichst schnell herausfinden, wer von Ihnen beiden Recht hat«, fuhr Smith fort. »Wir wissen, dass sich das Anthrax noch in dem Wrack befindet. Wir wissen, dass außer uns noch jemand davon weiß. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Personen auf dem Weg hierher sind, um es sich zu holen. Wenn wir bedenken, dass der Feind bereits auf der Insel aktiv geworden ist,
müssen wir außerdem davon ausgehen, dass uns bis zum Eintreffen seiner Verstärkung unter Umständen nur noch Stunden bleiben.«
Smyslov ergriff mit scharfer Stimme das Wort. »Colonel, sollten wir in Anbetracht der Situation nicht augenblicklich ins Basislager zurückkehren? Nichts kann dringlicher sein als Kontakt zu unseren Vorgesetzten aufzunehmen.«
Es konnte kein Zweifel daran bestehen. Smyslov legte großen Wert darauf, das Notlager nicht zu finden. Dieses Anliegen war für ihn so wichtig wie für Valentina der Wunsch, es aufzuspüren. Und wahrscheinlich hatten beide für ihre entgegengesetzten Ziele denselben Grund.
»Ein stichhaltiger Einwand, Major, aber wir werden uns trotzdem hier oben nach dem Notlager der Flugzeugbesatzung umsehen.« Smith streckte die Hand aus und folgte mit einer ausholenden Bewegung von Norden nach Süden dem Ostrand des Gletschers. »Wenn wir mal annehmen, dass Professor Metrace Recht hat, hätte die Mannschaft dort die größten Chancen gehabt, Schutz gegen die Witterung zu finden – am Fuß des Ostgipfels.«
»Das Lager könnte im Lauf der letzten fünfzig Jahre unter beträchtlichen Schneewehen begraben worden sein«, fügte Valentina hinzu und schlang sich die Modell 70 über die Schulter. »Daher würde ich vorschlagen, das wir nach Umrissen unter dem Schnee Ausschau halten, insbesondere nach geraden, geometrischen Linien.«
»Kapiert. Sonst noch Fragen? Okay, setzten wir uns in Bewegung.« Smith hielt seine SR-25 in den Armen, als sie über das Eis losmarschierten.
Er arbeitete sich in nördlicher Richtung vor, quer über den Bergsattel zu der Stelle, an der sich der Gletscher zu einem tückischen Haufen wirrer Klötze aus zersprungenem Eis aufspaltete, einer Miniaturausgabe des Beardmore-Gletschers, die sich auf der Vorderseite der Insel bis zu dem schmalen Küstenstreifen zog. An jenem Punkt kehrten sie plangemäß um und suchten den Hang ab.
Sie rückten nebeneinander mit jeweils zwanzig Metern Abstand in einer Reihe vor und konzentrierten sich auf den zerklüftete Grenzbereich zwischen Stein und Eis am Fuß des Ostgipfels.
Valentina blieb auf der inneren Spur und hielt sich mit dem gespannten Eifer eines Jagdhundes dicht am Fuß des Steilhangs. Smith übernahm die mittlere Position, während Smyslov sich an der äußeren Flanke hielt. Smith spähte nicht nur auf die Gletscheroberfläche hinaus, sondern behielt auch Val im Auge und suchte die Berghänge über ihnen nach einer Vielzahl von potentiellen Bedrohungen ab: Schneewehen, Lawinenrinnen und getarnten Beobachtern.
Er ertappte sich auch dabei, dass er zwischendurch immer wieder aus dem Augenwinkel Gregori Smyslov beobachtete. Suchte der Russe nach etwas anderem als den Überresten der verschollenen Flugzeugbesatzung? Auf wen wartete er, und welcher Auslöser würde ihn plötzlich zur Tat schreiten lassen? Und was würde er tun, wenn es so weit war?
Sie kamen an der Unfallstelle vorbei und erklommen die letzten hundert leicht ansteigenden Meter zum zentralen Grat des Bergsattels. Während des mühseligen Aufstiegs blieb Smith einen Moment lang stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Der Meeresdunst kroch von allen Seiten näher und schloss sich wieder einmal um Wednesday herum, schwappte gegen die Flanken der Insel, schluckte die Horizonte und
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