Arktis-Plan
sie Smyslov sehen, der an seinen Fesseln zerrte, weil er wissen wollte, was vorging.
»Ich bin hier, Gregori, und es sieht ganz so aus, als bliebe ich da auch.«
»Was ist passiert?«
Sie zögerte einen Moment und begriff dann, dass ihre Liste von verfügbaren Hilfsmitteln und Verbündeten erschreckend kurz war. Mit ein paar knappen Sätzen schilderte sie ihm die Lage.
»Sie hätten die Rettungsleine nicht in dieser Form festmachen dürfen«, sagte er.
»Was Sie nicht sagen«, murrte Valentina und stemmte sich wieder gegen das Gewicht an dem Seil, das sie hinabziehen wollte.
»Ist alles in Ordnung mit dem Colonel?«
»Nein, das glaube ich nicht. Er hat mir nicht geantwortet, und ich spüre keine Bewegung am anderen Ende des Seils. Ich kann nur hoffen, dass der Eisbruch ihn lediglich betäubt hat.«
»Sie müssen ihn hochziehen und ihn von hier fortbringen, Professor«, rief Smyslov zurück.
»Ich weiß, aber das Sicherungsseil sitzt so straff, dass ich mich nicht davon losmachen kann! Wenn ich es durchschneide, stürzt er hinunter!«
»Dann müssen Sie einen zweiten Kletterhaken einschlagen und Ihren Klettergurt daran befestigen. Dann können Sie sich von dem Gurt befreien, ohne den Colonel zu verlieren.«
Valentina gab den Kampf mit der Rettungsleine auf. »Das ist eine ausgezeichnete Idee. Die Sache ist nur die, dass ich keinen zweiten verfluchten Kletterhaken habe!«
»Dann benutzen Sie die Spitze Ihres Felshammers.«
Sie sah sich in ihrer Reichweite und in der ihres Leuchtstabs um und fluchte wieder. »Den habe ich auch verloren.«
»Professor, er könnte verletzt oder fast tot sein!«
»Das weiß ich selbst, verflucht nochmal!«
Smyslov verstummte. Keuchend legte Valentina ihren Kopf seitlich auf den gefrorenen Stein. Sie würden alle sterben, wenn sie nichts unternahm. Wenn sie hier festsaßen, würden der Sturm und die durchdringende Kälte, vor der es kein Entrinnen gab, ihnen den Rest geben.
Es gab natürlich eine Lösung und diese Lösung war naheliegend, ganz simpel und noch dazu einfach zu bewerkstelligen.
Sie konnte sich befreien, indem sie das Sicherungsseil durchschnitt.
Aber, wie Jon es formuliert hatte, das war eine Möglichkeit, die sie noch nicht bereit war in Betracht zu ziehen.
Sie hatte ihre Messer, drei Stück: das Mehrzweckmesser an ihrem Gürtel und ihre beiden Wurfmesser in den Scheiden, die an ihre
Unterarme geschnallt waren. Vielleicht konnte sie eines von ihnen als improvisierten Kletterhaken benutzen. Aber ihr fehlte ein Hammer, um die Klinge fest einzuschlagen, und die Griffe waren nicht für diese Aufgabe bestimmt. Eine falsche Bewegung oder ein Ausrutscher und Jon würde tot sein – vorausgesetzt, dass er es nicht schon war.
Somit blieb Smyslov, der Mann, den sie ohne weiteres zu töten bereit gewesen war. Aber wie hatte Jon das doch gleich formuliert? »Ich bin noch nicht sicher, ob er unser Feind ist, Val.«
Die Logik sagte ihr, dass er es sein musste. Aber die Logik sagte ihr auch, dass ihre einzigen Alternativen darin bestanden, Jons Sicherungsseil durchzuschneiden oder sie alle drei auf diesem Berghang zugrunde gehen zu lassen.
»Gregori, wie schätzen Sie die Menschenkenntnis des Colonel ein?«
»Er ist ein sehr guter Menschenkenner, würde ich meinen«, erwiderte der Russe, den die Frage erstaunte.
»Ich hoffe, Sie haben Recht. Ich werde Ihnen jetzt ein Messer zuwerfen.«
Das war leichter gesagt als getan. Messerwerfen zählte unter den Martial Arts zu den Fertigkeiten, die besonders schwierig zu meistern waren. Bekäme man Gürtel dafür verliehen, dann hätte Valentina Metrace sich mühelos einen roten Gürtel erworben. Sogar für den legendären William Garvin hätte dieses Szenario eine Herausforderung dargestellt: heftige, böige Winde, miserable Beleuchtung, ein ungünstiger Wurfwinkel und dicke, hinderliche Kleidung. Der kritischste Punkt war jedoch, dass es nichts gab, worin man die Klinke versenken konnte.
Am besten hätten die Chancen gestanden, wenn sie das Messer über die Felsbank schlittern und vor Smyslovs Füßen landen ließ, aber so, wie sie ihn an der Felswand festgebunden hatte, konnte er sich nicht bücken, um es aufzuheben.
Valentina zog ihre Fäustlinge und ihre Handschuhe aus. Auf der
Seite liegend wand sie sich um den Kletterhaken, denn schließlich konnte sie nicht mit dem Rücken zu ihm werfen. Durch diese Bewegung ragten ihre Beine von den Knien abwärts über den Rand der Felsbank. Sie zog das Mehrzweckmesser aus der
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