Arktis-Plan
im letzten Moment zurückgerufen?«
Smyslov schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Colonel, aber das kann ich Ihnen trotz allem nicht sagen. Ich muss die jämmerlichen Überreste des letzten, sorgsam gehüteten Geheimnisses meiner Regierung aus Gründen der inneren Sicherheit wahren.«
»Sie können es ihm ebenso gut sagen, Gregori«, ertönte Valentinas Stimme aus dem Berg von Schlafsäcken und Kleidungsstücken. »Dahinter bin ich nämlich auch gekommen.«
Smyslov riss den Kopf herum. »Wie könnten Sie das herausgefunden haben?«
Valentinas Seufzer drang leise durch die Eishöhle. »Weil ich Historikerin bin und weil ich geschickt darin bin, einzelne Punkte durch Linien miteinander zu verbinden. Die Misha 124 ist am 5. März 1953 auf Wednesday Island abgestürzt, und die UdSSR hätte am 5. März 1953 um Haaresbreite den Dritten Weltkrieg begonnen. Ein wesentliches politisches Ereignis, das die Sowjetunion
betrifft, hat ebenfalls an diesem Tag stattgefunden. Die Logik deutet darauf hin, dass dieses Ereignis mit den beiden anderen in Zusammenhang stehen muss.«
»Und was war das?«, erkundigte sich Smith.
»Am 5. März 1953 ist Josef Stalin gestorben.« Valentina verrenkte sich so, dass die beiden Männer das bleiche Oval ihres Gesichts sehen konnten. »Oder genauer gesagt, das war der Tag, an dem er einem Mordanschlag zum Opfer gefallen ist. Ihre Leute haben diesen Mistkerl abgemurkst, stimmt’s, Gregori?«
Für einen langen Moment war außer dem erbosten Heulen des Windes kein Laut zu vernehmen.
»Den Verdacht hatten wir schon immer«, fuhr Valentina fort. »Nach dem derzeitigen Wissensstand der Geschichtsforschung heißt es, Stalin hätte in der Nacht des achtundzwanzigsten Februars eine massive Gehirnblutung erlitten, während er sich im Kreml aufhielt. Angeblich war er durch den Schlaganfall geschäftsunfähig und semikomatös, und an diesem Zustand hat sich bis zu seinem Tod am fünften März nichts geändert. Aber das hat keinen wirklich überzeugt. Es hieß von Anfang an, irgendetwas sei ›komisch‹ daran, wie vage die Berichterstattung der sowjetischen Regierung über Stalins Tod gehalten war. Außerdem hat Stalins Tochter Svetlana mehr als nur einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben, die wahre Geschichte über das Ableben ihres Vaters sei immer noch nicht ans Licht gekommen.«
Die Historikerin veränderte ihre Haltung und versuchte, Randi nicht aufzuschrecken. »Natürlich sorgt der Tod eines umstrittenen Staatsoberhaupts immer für zahllose Gerüchte und Verschwörungstheorien. Man nennt es das ›JFK-Syndrom‹. Aber in Anbetracht von Stalins weltweit berüchtigtem Naturell und dem damaligem Sowjetregime schien diese Verschwörungstheorie eine stabilere Grundlage zu haben als die meisten anderen.
Da jetzt die Wahrheit über die Misha 124 und den abgebrochenen Erstschlag der Sowjetunion herauskommt, wird diese Frage
wieder an die große Glocke gehängt werden. Es tut mir leid, Gregori, aber das wird man nicht leugnen können, und alles, was wir uns denken, wird wahrscheinlich schlimmer sein als die Realität.«
Smyslov blickte verzweifelt zur Höhlendecke auf. »Verdammte Scheiße!« Er schloss die Augen und schwieg einige Momente lang, bevor er auf Valentinas Worte einging. »Sie haben vollkommen Recht, Professor. Wie Sie bereits sagten, hatte Stalin einen Schlaganfall, aber er ist nicht ins Koma gefallen. Er war teilweise gelähmt, aber er war bei Bewusstsein, bei klarem Verstand und in der Lage, Befehle zu erteilen. Und seine Befehle haben gelautet, den sofortigen entscheidenden Endangriff gegen die westlichen Demokratien zu starten.
Wer kann schon sagen, warum? Möglicherweise waren seine geistigen Fähigkeiten durch den Schlaganfall doch beeinträchtigt. Vielleicht hat er seinen baldigen Tod vorhergesehen und wollte Zeuge des endgültigen Triumphs der kommunistischen Revolution werden, bevor er stirbt. Aber möglicherweise wollte er auch nur, dass gemeinsam mit ihm die Welt untergeht. Wie auch immer, es gab auch Mitglieder des Politbüros, die einen solchen Angriff als nationalen Selbstmord angesehen haben.«
»Wäre es das gewesen?«, erkundigte sich Smith.
»Im Frühjahr 1953, ja«, antwortete Valentina. »Der Westen wäre bei einem nuklearen Schlagabtausch eindeutig überlegen gewesen. Damals besaßen die Vereinigten Staaten und Großbritannien etliche Hundert Atomwaffen und sogar ein paar Prototyp-Wasserstoffbomben. Die Sowjets hatten nur wenige Dutzend Atomwaffen mit geringer
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