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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Fehlen von Polizisten, Städten, Geld, Unter­schieden zwischen Arm und Reich sowie einer Vielzahl weiterer politischer, wirtschaftlicher und sozialer In­stitutionen. Entstanden all diese Institutionen zusam­men, oder tauchten einige früher auf als andere? Ant­wort auf diese Frage erhalten wir durch einen Vergleich heutiger Gesellschaften auf verschiedenen Organisa­tionsstufen, durch die Analyse archäologischer Indizi­en oder schriftlicher Berichte über Gesellschaften der Vergangenheit und durch Beobachtung des Wandels gesellschaftlicher Institutionen im Zeitablauf.
    Von Kulturanthropologen werden menschliche Ge­sellschaften in dem Bemühen, Ordnung in die Vielfalt zu bringen, oft in bis zu sechs verschiedene Kategorien eingeteilt. Von vornherein ist aber jeder Versuch, einen evolutionären Entwicklungsprozeß in Stadien zu unter­teilen – ob in der Musik, im menschlichen Lebenszy­klus oder bei Gesellschaften – aus zwei Gründen zur Unvollkommenheit verurteilt. Erstens sind die Abgren­zungen, die gezogen werden, zwangsläufig unscharf, da sich jedes Stadium aus einem vorhergehenden entwickelt. (Ist beispielsweise ein 19jähriger noch ein Jugendlicher oder schon ein junger Erwachsener?) Zweitens mangelt es Entwicklungsphasen an Homogenität, so daß ins glei­che Stadium eingeordnete Betrachtungs gegenstände in Wirklichkeit sehr heterogen sein können. (Brahms und Liszt würden sich im Grab umdrehen, erführen sie, daß sie heute beide als Komponisten der Romantik bezeich­net werden.) Dennoch können so definierte Stadien ein nützliches Instrument zur Erörterung der Vielfalt von Musikrichtungen oder menschlichen Gesellschaften dar­stellen, sofern man sich die genannten Vorbehalte ver­gegenwärtigt. In diesem Sinne wollen wir im folgenden ein einfaches Klassifikationsschema aus nur vier Kate­gorien – Gruppe, Stamm, Häuptlingsreich, Staat (siehe Tabelle 13.1) – verwenden.

    Ein waagerechter Pfeil signalisiert, daß in diesem Punkt Unter­schiede zwischen Gesellschaften des jeweiligen Typs mit geringe­rer und höherer Komplexität bestehen .

    Tabelle 13.1 Gesellschaftstypen
    Gruppen bestehen als kleinste Gesellschaftsform typi­scherweise aus fünf bis 80 Personen, von denen die mesten oder alle durch Geburt oder Heirat eng miteinander verwandt sind. In der Regel handelt es sich bei einem sol­chen Verband um eine oder mehrere verwandte Groß­familien. Heute trifft man autonom lebende Gruppen von Jägern und Sammlern fast nur noch in den entle­gensten Winkeln Neuguineas und des Amazonasgebiets. Vor nicht allzu langer Zeit gab es jedoch zahlreiche an­dere, die erst in jüngster Vergangenheit unter staatliche Herrschaft gerieten, assimiliert oder ausgerottet wurden. Hierzu zählen viele oder die meisten der afrikanischen Pygmäen, die südafrikanischen San (»Buschmänner«), die australischen Aborigines, die Eskimos (Inuit) und die indianischen Bewohner einiger mit Rohstoffen kärg­lich ausgestatteter Regionen Amerikas (z. B. Feuerland im äußersten Süden und die borealen Wälder im ho­hen Norden). Bei all diesen neuzeitlichen Kleinverbän­den handelte beziehungsweise handelt es sich nicht um seßhafte Ackerbauern, sondern um nomadische Jäger und Sammler. Bis vor 40 000 Jahren lebten vermutlich alle Menschen in solchen Gruppen, und für die meisten galt dies sogar noch vor 11 000 Jahren.
    In Gruppen fehlen zahlreiche Institutionen, die uns heute als selbstverständlich erscheinen. Sie haben kei­nen dauerhaften Aufenthaltsort. Ihr Land wird von al­len gemeinsam genutzt und ist nicht zwischen einzel­nen Untergruppen oder Individuen aufgeteilt. Es fehlt die ökonomische Differenzierung, außer nach Alter und Geschlecht: Alle gesunden Personen beteiligen sich an der Nahrungssuche. Es gibt keine formellen Institutio­nen wie Polizei und Justiz, die Konflikte innerhalb von Gruppen und zwischen Gruppen regeln könnten. Oft werden solche Kleinverbände als »egalitär« beschrieben: Sie kennen keine soziale Schichtung in höhere und nied­rigere Klassen, kein formelles oder durch Vererbung ge­regeltes Führungswesen und auch keine formellen Infor­mations- und Entscheidungsmonopole. Die Bezeichnung »egalitär« darf jedoch nicht so gedeutet werden, daß etwa alle Angehörigen einer Gruppe das gleiche soziale An­sehen genössen und in gleicher Weise an Entscheidun­gen beteiligt wären. »Egalitär« heißt lediglich, daß die »Führung« einer Gruppe informell ist und durch

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