Arm und Reich
»Selbstauslese« der Pflanzen. Darwins Begriff von der »natürlichen Zuchtwahl« bedeutet, daß bestimmte Angehörige einer Art unter natürlichen Bedingungen im »Kampf ums Dasein« und/ oder bei der Fortpflanzung erfolgreicher sind als ihre Artgenossen. Ändern sich die Bedingungen, meistern womöglich andere Typen von Individuen den Überlebenskampf besser und hinterlassen mehr Nachkommen, haben mithin einen Selektionsvorteil mit der Folge eines evolutionären Wandels innerhalb der betreffenden Population. Ein klassisches Beispiel ist die Entstehung des sogenannten Industriemelanismus bei britischen Nachtfaltern: Im Zuge der Verschmutzung der Umwelt im 19. Jahrhundert traten Nachtfalter mit dunkler Körperoberfläche häufiger auf als solche mit hellerer Färbung, weil dunkle Nachtfalter, die an einem verrußten Baumstamm saßen, der Aufmerksamkeit ihrer Feinde eher entgingen als leichter erspähbare helle Falter.
Wie die industrielle Revolution die Umwelt der Nachtfalter verän derte, so veränderte die Landwirtschaft die Umwelt vieler Pflanzen. Ein bestellter, gedüngter, bewässerter und gejäteter Garten bietet völlig andere Wachstumsbedingungen als ein trockener, ungedüngter Berghang. Viele Veränderungen, die Pflanzen im Zuge der Domestikation erfuhren, rührten von solchen veränderten Umweltbedingungen her.
Sät beispielsweise ein Bauer die Saat in einem Garten dicht aus, entsteht unter den Samen ein heftiger Konkurrenzkampf. Große Samen können die guten Bedingungen ausnutzen und mit raschem Wachstum quittieren, so daß sie im Vorteil gegenüber kleineren Samen sind, die an trockenen, ungedüngten Berghängen mit geringerer Samenzahl und weniger hartem Konkurrenzkampf die Oberhand hatten. Eine in dieser Weise verschärfte Konkurrenz unter den Pflanzen spielte eine wichtige Rolle beim Größerwerden der Samen und vielen anderen Veränderungen, die sich bei der Verwandlung von Wild- in Kulturpflanzen einstellten.
Was erklärt nun aber die großen Unterschiede in der Schwierigkeit der Domestikation verschiedener Pflanzen, so daß einige Arten schon sehr früh, andere erst im Mittelalter und wieder andere trotz aller Bemühungen bis heute nicht domestiziert werden konnten? Viele der Gründe lassen sich aus der zeitlichen Abfolge ableiten, in der verschiedene Kulturpflanzen im Nahen Osten auftraten.
Wie sich zeigt, stammten die frühesten Kulturpflanzen im Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds, wie Weizen, Gerste und Erbsen, die vor rund 10 000 Jahren domestiziert wurden, von Wildpflanzen ab, die schon viele Vorzüge besaßen. So waren sie auch in der Wildform eßbar und ertragreich. Ihr Anbau war relativ einfach, man brauchte sie bloß zu säen oder zu pflanzen. Sie wuchsen zudem rasch und konnten schon wenige Monate nach der Saat geerntet werden, was gerade in einer Zeit noch fließender Übergänge zwischen nomadischem Jägertum und seßhaftem Dorfleben einen großen Vorteil darstellte. Ein weiterer Pluspunkt war die gute Lagerfähigkeit im Gegensatz zu vielen späteren Kulturpflanzen, etwa Erdbeeren und Kopfsalat. Die meisten frühen Anbaupflanzen waren Selbstbestäuber und konnten so ihre nützlichen Erbanlagen unverändert weitergeben, statt sich mit anderen, für den Menschen weniger nützlichen Unterarten kreuzen zu müssen. Und schließlich bedurfte es zur erfolgreichen Domestikation der wilden Vorfahren der frühesten Kulturpflanzen nur sehr weniger genetischer Veränderungen. Beim Weizen genügten beispielsweise schon die Mutationen, die das Abwerfen der Körner vom Halm verhinderten und eine rasche, einheitliche Keimung bewirkten.
In der nächsten Phase wurden um 4000 v. Chr. die ersten Obst- und Nußbäume domestiziert. Dazu zählten Oliven, Feigen, Datteln, Granatäpfel und Weinbeeren. Gegenüber Getreide und Hülsenfrüchten hatten sie den Nachteil, daß nach der Anpflanzung mindestens drei Jahre vergingen, bis die ersten Früchte wuchsen, und daß ein ganzes Jahrzehnt verstreichen konnte, bis die volle Ertragskraft erreicht war. Damit kam ihr Anbau nur für wirklich seßhafte Gemeinschaften in Frage. Immerhin zählten die frühen Obst- und Nußbäume zu den am einfachsten zu domestizierenden Gewächsen dieser Art. Im Unter schied zu später domestizierten Bäumen ließen sie sich direkt durch Einpflanzen von Ablegern oder sogar Samen ziehen. Ableger hatten den Vorteil, daß alle Nachkommen identische Erbanlagen
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