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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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besaßen.
    Eine dritte Phase beinhaltete Obstbäume – Äpfel, Bir­nen, Pflaumen und Kirschen –, deren Domestikation erheblich größere Schwierigkeiten aufwarf. Sie können nämlich nicht aus Ablegern gezogen werden, und auch das Einpflanzen von Samenkörnern ist vergeudete Mühe, da die Nachkommen selbst einzelner Prachtexemplare dieser Arten stark variieren und meist wertlose Früchte tragen. Um diese Obstbäume zu züchten, müssen kom­plizierte Veredelungsverfahren angewandt werden, die lange nach den Anfängen der Landwirtschaft in China entwickelt wurden. Sie sind sehr arbeitsintensiv, auch wenn das Prinzip schon bekannt ist. Um es zu entdecken, bedurfte es aber zunächst einmal bewußter Experimente. Die Erfindung der Pflanzenveredelung hatte wenig mit dem Erlebnis einer Nomadenfrau gemein, die sich an einem stillen Örtchen erleichterte und dort einige Zeit später von leckeren Früchten überrascht wurde.
    Bei diesen spät domestizierten Obstbäumen trat ein weiteres Problem auf, das darin bestand, daß ihre Wild­vorfahren das genaue Gegenteil von Selbstbestäubern waren. Zur Fortpflanzung bedurften sie der Kreuzbe­stäubung durch Pflanzen einer genetisch verschiedenen Unterart. Die frühen Bauern mußten deshalb entweder mutierte Bäume finden, die ohne Kreuzbestäubung aus­kamen, oder bewußt genetisch verschiedene Unterar­ten beziehungsweise männliche und weibliche Bäume nahe beieinander pflanzen. All diese Probleme führten dazu, daß Äpfel, Birnen, Pflaumen und Kirschen erst im klassischen Altertum domestiziert wurden. Etwa zur gleichen Zeit trat, ohne daß es vergleichbarer Anstren­gungen bedurfte, eine weitere Gruppe von Kulturpflan­zen auf den Plan, die sich zunächst als Unkraut auf den Feldern angesiedelt hatten. Zu diesen Nachzüglern ge­hörten Roggen, Hafer, Steckrüben, Radieschen, Rüben, Lauch und Kopfsalat.
    Die zeitliche Abfolge, die ich für den Fruchtbaren Halb­mond beschrieben habe, stimmt teilweise mit der in an­deren Regionen der Welt überein. Der Weizen und die Gerste Vorderasiens sind Beispiele für eine Klasse von Kulturpflanzen, die zur Familie der Gräser gehören und als Getreide bezeichnet werden, während die Erb­sen und Linsen der gleichen Region Vertreter der Klas­se der Hülsenfrüchte sind (Familie der Leguminosen, zu der auch Bohnen gehören). Getreide hat den Vorteil, daß es schnell wächst, reich an Kohlehydraten ist und bis zu einer Tonne Nahrung pro Hektar liefert. Das hat dazu geführt, daß heute über die Hälfte des Kalorien­verzehrs der Menschheit auf verschiedene Getreidear­ten entfällt. Fünf der zwölf bedeutendsten Kulturpflan­zen der Gegenwart sind Getreide (Weizen, Mais, Reis, Gerste und Sorghum). Viele Getreidearten haben einen niedrigen Eiweißgehalt, doch dieses Manko wird von Hülsenfrüchten mit oft 25prozentigem Eiweißgehalt (Sojabohnen sogar 38 Prozent) wettgemacht. Zusam­men liefern Getreide und Hülsenfrüchte somit viele der nötigen Bestandteile einer ausgewogenen Ernährung.
    Tabelle 6.1 zeigt, daß die Landwirtschaft in vielen Regionen mit der Domestikation bestimmter örtlicher Kombinationen von Getreide und Hülsenfrüchten be­gann. Zu den bekanntesten Beispielen zählen die Kom­bination von Weizen und Gerste mit Erbsen und Linsen in Vorderasien, die Kombination von Mais mit verschie­denen Bohnensorten in Mesoamerika und die Kombina­tion von Reis und Hirse mit Soja- und anderen Bohnen in China. Weniger bekannt sind die Kombination von Sorghum, afrikanischem Reis und Perlhirse mit Lang­bohnen und Erdnüssen in Afrika und die Kombination von Quinoa (einem Korn, das nicht zum Getreide zählt) mit verschiedenen Bohnensorten in den Anden.
    Tabelle 6.1 zeigt auch, daß die frühe Domestikation von Flachs in Vorderasien zur Fasergewinnung Paral­lelen in anderen Regionen hatte. Hanf, vier Baumwoll­sorten, Yuccas und Agaven lieferten in China, Meso­amerika, Indien, Äthiopien, Afrika südlich der Saha­ra und Südamerika Fasern zur Herstellung von Seilen und Webstoffen, in einigen dieser Regionen ergänzt durch Wolle von Haustieren. Von allen frühen Zentren der Landwirtschaft mangelte es lediglich dem Osten der USA und Neuguinea an einer zur Fasergewinnung ge­nutzten Pflanze.

    In der Tabelle finden Sie die Namen wichtiger Kulturpflanzen aus den frühen Zentren der Landwirtschaft in verschiedenen Re­gionen der Welt. Eckige Klammern bedeuten, daß die ursprüng­liche Domestikation an einem anderen Ort erfolgte.

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