Arm und Reich
besaßen.
Eine dritte Phase beinhaltete Obstbäume – Äpfel, Birnen, Pflaumen und Kirschen –, deren Domestikation erheblich größere Schwierigkeiten aufwarf. Sie können nämlich nicht aus Ablegern gezogen werden, und auch das Einpflanzen von Samenkörnern ist vergeudete Mühe, da die Nachkommen selbst einzelner Prachtexemplare dieser Arten stark variieren und meist wertlose Früchte tragen. Um diese Obstbäume zu züchten, müssen komplizierte Veredelungsverfahren angewandt werden, die lange nach den Anfängen der Landwirtschaft in China entwickelt wurden. Sie sind sehr arbeitsintensiv, auch wenn das Prinzip schon bekannt ist. Um es zu entdecken, bedurfte es aber zunächst einmal bewußter Experimente. Die Erfindung der Pflanzenveredelung hatte wenig mit dem Erlebnis einer Nomadenfrau gemein, die sich an einem stillen Örtchen erleichterte und dort einige Zeit später von leckeren Früchten überrascht wurde.
Bei diesen spät domestizierten Obstbäumen trat ein weiteres Problem auf, das darin bestand, daß ihre Wildvorfahren das genaue Gegenteil von Selbstbestäubern waren. Zur Fortpflanzung bedurften sie der Kreuzbestäubung durch Pflanzen einer genetisch verschiedenen Unterart. Die frühen Bauern mußten deshalb entweder mutierte Bäume finden, die ohne Kreuzbestäubung auskamen, oder bewußt genetisch verschiedene Unterarten beziehungsweise männliche und weibliche Bäume nahe beieinander pflanzen. All diese Probleme führten dazu, daß Äpfel, Birnen, Pflaumen und Kirschen erst im klassischen Altertum domestiziert wurden. Etwa zur gleichen Zeit trat, ohne daß es vergleichbarer Anstrengungen bedurfte, eine weitere Gruppe von Kulturpflanzen auf den Plan, die sich zunächst als Unkraut auf den Feldern angesiedelt hatten. Zu diesen Nachzüglern gehörten Roggen, Hafer, Steckrüben, Radieschen, Rüben, Lauch und Kopfsalat.
Die zeitliche Abfolge, die ich für den Fruchtbaren Halbmond beschrieben habe, stimmt teilweise mit der in anderen Regionen der Welt überein. Der Weizen und die Gerste Vorderasiens sind Beispiele für eine Klasse von Kulturpflanzen, die zur Familie der Gräser gehören und als Getreide bezeichnet werden, während die Erbsen und Linsen der gleichen Region Vertreter der Klasse der Hülsenfrüchte sind (Familie der Leguminosen, zu der auch Bohnen gehören). Getreide hat den Vorteil, daß es schnell wächst, reich an Kohlehydraten ist und bis zu einer Tonne Nahrung pro Hektar liefert. Das hat dazu geführt, daß heute über die Hälfte des Kalorienverzehrs der Menschheit auf verschiedene Getreidearten entfällt. Fünf der zwölf bedeutendsten Kulturpflanzen der Gegenwart sind Getreide (Weizen, Mais, Reis, Gerste und Sorghum). Viele Getreidearten haben einen niedrigen Eiweißgehalt, doch dieses Manko wird von Hülsenfrüchten mit oft 25prozentigem Eiweißgehalt (Sojabohnen sogar 38 Prozent) wettgemacht. Zusammen liefern Getreide und Hülsenfrüchte somit viele der nötigen Bestandteile einer ausgewogenen Ernährung.
Tabelle 6.1 zeigt, daß die Landwirtschaft in vielen Regionen mit der Domestikation bestimmter örtlicher Kombinationen von Getreide und Hülsenfrüchten begann. Zu den bekanntesten Beispielen zählen die Kombination von Weizen und Gerste mit Erbsen und Linsen in Vorderasien, die Kombination von Mais mit verschiedenen Bohnensorten in Mesoamerika und die Kombination von Reis und Hirse mit Soja- und anderen Bohnen in China. Weniger bekannt sind die Kombination von Sorghum, afrikanischem Reis und Perlhirse mit Langbohnen und Erdnüssen in Afrika und die Kombination von Quinoa (einem Korn, das nicht zum Getreide zählt) mit verschiedenen Bohnensorten in den Anden.
Tabelle 6.1 zeigt auch, daß die frühe Domestikation von Flachs in Vorderasien zur Fasergewinnung Parallelen in anderen Regionen hatte. Hanf, vier Baumwollsorten, Yuccas und Agaven lieferten in China, Mesoamerika, Indien, Äthiopien, Afrika südlich der Sahara und Südamerika Fasern zur Herstellung von Seilen und Webstoffen, in einigen dieser Regionen ergänzt durch Wolle von Haustieren. Von allen frühen Zentren der Landwirtschaft mangelte es lediglich dem Osten der USA und Neuguinea an einer zur Fasergewinnung genutzten Pflanze.
In der Tabelle finden Sie die Namen wichtiger Kulturpflanzen aus den frühen Zentren der Landwirtschaft in verschiedenen Regionen der Welt. Eckige Klammern bedeuten, daß die ursprüngliche Domestikation an einem anderen Ort erfolgte.
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