Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
für ein paar Sekunden geheult hatten, bevor alles im Nichts versunken war. Jeder Zentimeter Oberfläche war übersät mit den winzigen Einschlagkratern des jahrtausendelangen Bombardements von Ringpartikeln und Staub.
Joshua untersuchte das Fragment nachdenklich durch den Dunstschleier aus Partikeln, der die Sicht behinderte. In den drei Jahren, seit er im Ruinenring auf Schatzsuche war, hatte er Hunderte von Habitatbruchstücken gesehen, alle genau wie dieses hier, und alle leer und tot. Doch dieses hier hatte etwas. Er wußte es.
Joshua schaltete seine Retinaimplantate auf die größtmögliche Vergrößerung, verengte den Bildausschnitt und suchte die Oberfläche aus Mutterboden Zentimeter um Zentimeter ab. Seine neurale Nanonik erzeugte Pixel für Pixel ein kartographisches Bild.
Joshua entdeckte die Überreste von Fundamenten, die aus dem Boden ragten. Die Laymil hatten für ihre Häuser eine streng geometrische Architektur bevorzugt, gerade Flächen und rechte Winkel. Niemand hatte je eine gerundete Wand entdeckt. Diese Fundamente bildeten keinen Unterschied, doch wenn der erkennbare Grundriß irgend etwas verriet, dann die Tatsache, daß dieses Gebäude größer gewesen sein mußte als irgendeines der Wohnhäuser, die Joshua bis jetzt durchforstet hatte.
Joshua löschte die kartographische Abbildung und erteilte dem Bordrechner per Datavis einen Befehl. Reaktionsgetriebene Korrekturmotoren im Heck des Raumflugzeugs stießen heiße Ionenströme aus, und das schnittige Fahrzeug schob sich ganz langsam in Richtung der Fundamente voran. Joshua glitt aus dem Pilotensitz, in dem er für die letzten fünf Stunden angeschnallt gewesen war, und streckte sich ausgiebig, bevor er das Cockpit verließ und in die Kabine hinüberwechselte.
Wenn das Raumflugzeug in seiner vorgesehenen Funktion als Atmosphären-Orbitalfähre eines Raumschiffs eingesetzt wurde, war die Kabine mit fünfzehn Sitzplätzen ausgerüstet. Doch jetzt benutzte er es nur, um zwischen Tranquility und dem Ruinenring hin und her zu fliegen, und deswegen hatte er die Sitze ausgebaut und den gewonnen Raum für eine improvisierte Null-g-Dusche, eine Kombüse und ein Trainingsgerät gegen Muskelschwund verwandt. Selbst mit seiner gentechnologisch an den freien Fall angepaßten Physis brauchte er ein gewisses Mindestmaß an Training. Die Muskeln schwanden zwar nicht, aber sie wurden schwächer.
Joshua machte sich daran, seinen Schiffsoverall abzulegen. Sein Körper war schlank und muskulös und die Brust ein wenig tiefer als üblich. Hinweise auf die dickeren inneren Membranen und einen Metabolismus, der jegliches Aufblähen verhinderte, ganz gleich, wieviel er aß oder trank. Die gentechnologischen Veränderungen in seiner Familie hatten sich ausschließlich auf die praktischen Erfordernisse in einer Null-g-Umgebung konzentriert, und so kam es, daß Joshua ein zu eckiges Gesicht besaß, daß sein Unterkiefer zu weit vorstand, um in klassischer Hinsicht hübsch zu wirken. Sein mausbraunes Haar war länger, als es im Raum eigentlich angebracht gewesen wäre. Die Retinaimplantate unterschieden sich zumindest in der Farbe nicht von seinen ursprünglichen Augen: Sie waren blaugrau.
Nachdem er sich ausgezogen hatte, urinierte er in den Toilettenschlauch. Dann zog er die Vakuumausrüstung aus verschiedenen Spinden und stieg in seinen Raumanzug, ohne ein einziges Mal irgendwo anzustoßen. Die Kabine war lediglich sechs Meter lang, und es gab viel zu viele bedrohliche Ecken auf zu engem Raum. Jede Bewegung schien dazu zu führen, daß irgend etwas von seinem Platz schwebte. Essensverpackungen, die er nicht richtig weggepackt hatte, segelten wie gigantische silberne Schmetterlinge durch die Kabine, und Krümel imitierten ganze Bienenschwärme. Sobald er wieder daheim im Raumhafen war, würde er gründlich aufräumen müssen. Die Luftfiltersysteme seines kleinen Raumflugzeugs waren nicht dazu ausgelegt, mit all diesem Müll fertig zu werden.
Der programmierbare amorphe Silikon-Raumanzug des Lunar State Industrial Institute (SII) bestand in seinem inaktiven Zustand aus einem dicken, sieben Zentimeter hohen Halsring mit einem integrierten Mundstück und einer schwarzen, fußballgroßen Kugel, die an der Unterseite des Rings haftete. Joshua schob seinen Kopf durch den Kragen, biß auf das Mundstück und kaute darauf, bis es bequem von den Lippen umschlossen wurde. Als er fertig war, ließ er den Haltegriff los, überzeugte sich, daß er nirgendwo anstieß, und gab
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