Armageddon 06 - Der nackte Gott
auf die beiden. »Ich wollte die Hunde ein letztes Mal ausführen, weiter nichts«, sagte er. »Wir werden wahrscheinlich morgen von hier aufbrechen. Ich fürchte, ihr müßt wieder einmal packen.«
Genevieve kniete nieder und streichelte den goldenen Labrador. »Aber du läßt die Hunde doch nicht hier zurück, oder?«
»Nein. Sie kommen in Null-Tau. Ich lasse sie ganz bestimmt nicht zurück. Und eine ganze Menge anderer Dinge auch nicht. Ich habe Jahrhunderte gebraucht, um meine kleine Sammlung von Schnickschnack aufzubauen. Mit der Zeit wird man schrecklich sentimental mit den einfachsten Dingen. Ich besitze vier Kuppeln wie diese hier in verschiedenen Gegenden der Welt, jede mit einem anderen Klima. Ich habe viel Arbeit in jede davon gesteckt. Aber seht es einmal von der guten Seite, ich kann meine Erinnerungen mit mir nehmen, im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Wohin wirst du von hier gehen?« fragte Louise.
»Ich bin noch nicht sicher, ehrlich«, antwortete er. »Ich brauche eine industrialisierte Welt als Basis, wenn ich die Kontrolle über meine Industriekonzerne behalten will. Kulu wird mich wohl kaum willkommen heißen; die Saldanas sind äußerst territorial. Vielleicht New Washington, ich besitze ein wenig Einfluß dort. Möglicherweise germiniere ich auch irgendwo ein unabhängiges Habitat.«
»Aber es ist nur vorübergehend, oder?« drängte Louise. »Nur bis wir eine Antwort gefunden haben.«
»Ja. Vorausgesetzt, Dexter ist nicht hinter der gesamten Menschheit her. Er ist auf seine eigene abstoßende Weise eine äußerst bemerkenswerte Persönlichkeit, mindestens ebenso kompetent wie Capone. Ich hätte nicht gedacht, daß er London so schnell in seine Hände bekommen würde. Ein weiterer Fehler in einer mittlerweile deprimierend langen Liste.«
»Was wirst du tun? Der Präsident wird keinen Orbitalschlag befehlen, oder? In den Nachrichten heißt es, der Senat hätte sich zu einer Sitzung unter Ausschluß der Öffentlichkeit zurückgezogen.«
»Nein, er wird keinen Feuerbefehl erteilen, jedenfalls nicht heute. London ist vor ihm sicher. Solange sich über den Kuppeln keine roten Wolken bilden, betrachtet er die Londoner Besessenen nicht als eine Gefahr für den Rest der Welt.«
»Das war dann alles? Wir verschwinden einfach von hier, weiter nichts?«
»Ich tue mein Bestes, Louise. Ich bemühe mich immer noch, Dexters gegenwärtige Position zu finden. Noch besteht die Chance, den Erinnerungslöscher gegen ihn einzusetzen. Ich bin überzeugt, daß er sich irgendwo im Zentrum der Londoner City aufhält; dort konzentrieren sich die Ausfälle der elektronischen Einrichtungen. Wenn es mir gelingt, jemanden dicht genug an ihn heranzubringen, können wir ihn eliminieren. Wir haben einen Projektor gebaut, der mit BiTek-Prozessoren arbeitet. Er müßte auch dann noch störungsfrei funktionieren, wenn Besessene in der Nähe sind und normale Elektronik versagt.«
»Die Besessenen können die Gedanken von jedem spüren, der ihnen feindlich gesonnen ist. Niemand kann unbemerkt in ihre Nähe gelangen, der ihnen gefährlich werden könnte.«
»Normalerweise, ja. Aber wir haben einen Verbündeten. Er nennt sich selbst einen Freund von Carter McBride. Ein Besessener, der Quinn Dexter haßt und den Mut besitzt, sich ihm zu widersetzen. Und ich weiß, daß er sich in London aufhält; er könnte wahrscheinlich nahe genug an Dexter herankommen. Das Problem ist nur – er ist genauso schwer zu finden wie Dexter.«
»Fletcher hätte uns helfen können«, sagte Genevieve. »Er hat Dexter wirklich gehaßt. Und er hat sich auch nicht vor ihm gefürchtet.«
»Ich weiß«, sagte Charlie. »Ich überlege, ob ich ihn nicht um Hilfe bitten soll.«
Louise starrte ihn erstaunt an; sicherlich hatte sie sich verhört. »Soll das heißen, Fletcher ist noch immer hier?«
»Nun ja«, antwortete Charlie, überrascht von ihrer Überraschung. »Er wird oben im Halo in einem Hochsicherheitstrakt des GISD festgehalten, wo er unseren Wissenschaftlern hilft, die Physik der Possession zu erforschen. Ich fürchte nur, sie haben bisher keine größeren Fortschritte erzielt.«
»Warum hast du mir nichts davon erzählt?« fragte Louise mit weichen Knien. Es waren die besten Nachrichten seit langem, obwohl sie von Schuldgefühlen für den Mann begleitet waren, dessen Körper Fletcher in Besitz genommen hatte.
Und von dem Wissen, daß sie jetzt irgendwann erneut um ihn würde trauern müssen. Aber … er war noch immer bei ihnen, und das
Weitere Kostenlose Bücher